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Steht die Mentalität nach 1945 im Zeichen der „Diskreditierung der Ideolo-
gien“162, gilt dies laut Eisenreich für die ÖsterreicherInnen noch besonders, da
Ideologieskepsis ohnehin zu den (nur vorübergehend außer Kraft gesetzten)
„simplenFundamenten österreichischerWesensart“ gehöre, neben „Skepsis ge-
genüberdemErfolg,MißtrauengegendenFortschritt, Zweifel anderWichtigkeit
gerade dessen, was allgemein für wichtig gilt“163. Man sei, fügt Hans Heinz
Hahnlhinzu,bereitsdurchdie eigeneGrundverfassungaufdas„Ich seiner exis-
tentiellenVerlorenheit undVerlassenheit“geworfen, auchohneHilfe ausParis:
„Die jungenÖsterreicher kamenauchohne Sartre undCamus auf dieseVerhal-
tensmusterund fandensich,wennsiedieExistentialisten lasen,nur in ihrenLe-
benserfahrungen und dem von ihren Lebenserfahrungen aufgedrängten
Rückwegins Ichbestätigt.“164
Sie lesen sie dennoch, wie viele Erinnerungen österreichischer Schriftstel-
lerInnenbelegen,auchindennachfolgendenJahrzehnten.DasssichderExisten-
tialismusüberdiePhilosophiehinausalsStil einerEpoche, als globaleReaktion
auf eine historische Situation („un style d’époque, l’expression globale de réac-
tionsàunesituationhistorique“165)manifestiert,bedeutetnicht,dasserandiese
Situation gebunden ist, wie wiederkehrende Rufe nach einemNeoexistentialis-
mus (zu dessen theoretischer Verfestigung es indes nie kommt) zeigen.Wegen
des diachronen Charakters von Transferprozessen existiert zwar grundsätzlich
„keine temporale Symmetrie“166, doch liegen beim Existentialismus zwischen
demEntstehungskontext inderBesatzungszeit undden (fortlaufenden)Rezepti-
onskontexten bald viele Jahrzehnte. Der Erwartungshorizont des jugendlichen
Publikumsscheint sich imVerlaufdieserDauerrezeptionnicht sonderlichzuän-
dern, die provokative Kraft von Sartres und Camus’ Literatur hält auch im
21. Jahrhundertan, indemsie längstzuSchulklassikernkanonisiert sind.
33 Jahrenach JelineksDieAusgesperrtenerscheint 2013mitNorbertGstreins
EineAhnung vomAnfangneuerlich einWerk, indemexistentialistischesGedan-
kengut inVerdachtgerät, geneigteSchülerInnenaufAbwegezubringen,nun in
und schätzt („uneméthode pour se définir et s’apprécier“) und sich von ihmeinWesen und
einSchicksal („uncaractèreetundestin“)verleihen lässt.
162 HansHeinzHahnl: VonderDiskreditierungder Ideologien. Erwartungshaltungenund li-
terarische Produktion nach 1945. In:Waechter-Böhm (Hg.): Wien 1945. davor/danach.Wien
1985,S. 153–163,hierS. 157.
163 HerbertEisenreich:WorinbestehtderUnterschied?EinVergleichzwischender jungenLi-
teraturÖsterreichsundDeutschlands. In:FORVM1(1954),Nr.7/8,S.34–36,hierS.35.
164 Hahnl:VonderDiskreditierungder Ideologien,S. 157.
165 Dugast:LaSituationculturellede laFranceaprès1945,S.312.
166Werner: Dissymmetrien und symmetrischeModellbildungen in der Forschung zumKul-
turtransfer,S.89f.
126 5 DerExistentialismusalsSubkultur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur