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renSinne„Schauplatz“, sonderndaseigentlicheBiotopeiner Jugend,die sich in
derNaturnichtmehr„in ihremElement“ fühlt:„IhreLungenrasseln,keineKon-
dition […]. Zuviel Alkohol, zuviel Zigaretten, prahlt Rainer undwill über Camus
debattieren“211. ZwarweichtderUmgangmitdemExistentialismus inDieAusge-
sperrten insofernvonderverbreiteten jugendlichenRezeptionshaltung(„eher lei-
denschaftlich, weniger als rationale, methodische Auseinandersetzung mit
einemphilosophischenKonzept“212) ab,alservielfach literarisch-philosophische
Inhalte lakonischaufgreift, dochberücksichtigt erauchdenLebensstil, jenevon
Franz Schuh beschriebene „Mode, ein eigentümliches Konglomerat aus Gesten
und Meinungenmit dem Zweck, mittelständischen Existenzen die Dramatisie-
rungihres langweiligenDaseinszuermöglichen.“213
Für denSchüler Rainer verfügt nebender Philosophie vor allemdieMusik
über ein hohes Distinktionspotenzial; über sie zu dozieren, hebt ihn von den
anderen abund ermöglicht ihm, imBourdieuschen Sinne, die Breite undUni-
versalität seinerBildungzudemonstrieren(„[p]arlerde lamusique,c’est l’occa-
sion par excellence demanifester l’étendue et l’universalité de sa culture“214).
InmusikalischenPräferenzen,die implizit derReproduktionder eigenensozia-
len Position dienten, spiegeln sich die Ungleichheiten zwischen Menschen
BourdieuzufolgeaufbeispielloseWeise:Nichtserlaubees,dieeigeneKlasseso
sehr zu behaupten, wie der Musikgeschmack, nichts wiederum klassifiziere
einenunweigerlicher („[i]l n’ya rienqui, autantque lesgoûts enmusique,per-
mette d’affirmer sa ‚classe‘, rien aussi par quoi on soit aussi infailliblement
classé“215). Die Annahme, dass Geschmack nicht Ausdruck von Individualität,
sondern von Klasse sei, wird von Jelineks Hauptfiguren zugleich bestätigt und
unterwandert. Die intellektuellenHöhenflügeder Figur Rainer beinhalten lange
Vorträge„überdiemodernecoole JazzmusikundderenAufbau“216, andererseits
erklärt erdemArbeiterHansdenRock’n’Roll.Hans, der sogenannteHalbstarke,
will seinerseits aber auch ins Jazzlokal gehen. Die beiden Mitte der fünfziger
Jahrevorherrschenden,gemeinhindenBürgerInnenundArbeiterInnenzugeord-
211 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 107,95.
212 AndreasWeber: StimmenderGegenwart, eineAnthologie–Nachkriegsösterreichausder
Sicht jungerAutor(inn)en.Wien:UniversitätWien,Dipl.-Arbeit 1990,S. 15.
213 FranzSchuh:LestSartre! In:Profil, 21.04.1980.
214 Pierre Bourdieu: L’Origine et l’évolution des espèces demélomanes. [Interviewmit Cyril
Huvé.] In:Bourdieu:Questionsdesociologie. Paris 2002 [1984], S. 155–160,hierS. 155. [Zuerst
in:LeMondede lamusique,Nr.6,Dezember1978.]
215 Bourdieu: L’Origine et l’évolutiondes espèces demélomanes, S. 155. Cf. Pierre Bourdieu:
LaDistinction.Critiquesocialedu jugement.Paris 1979,S. 17.
216 Jelinek:DieAusgesperrten,S. 200;cf.S. 176.
5.2 LiterarischeDarstellungendesExistentialismusals Jugendkult 135
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur