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Die kräftezehrende Tätigkeit verhindert laut Camus jede Bewusstwerdung, doch
talwärtsdurchschautSisyphosseinLos,daser fürsichannimmt,was ihnüberdie
strafendenGöttererhebt.WährendSartrealsReaktionaufdieAbsurditätdesmen-
schlichen Seins (bei ihmKontingenz – „la contingence universelle de l’être, qui
est,maisquin’estpas le fondementdesonêtre“211)dieSinngebung imfreienEnt-
wurf propagiert, rät Camus, für den jede Sinn-Sehnsucht unerfüllt bleibenmuss,
indieBreite zu leben, Erlebnisse zumaximieren. Inder fiktionalenWelt optieren
Sartres und Camus’ Figuren bei Aussichtslosigkeit meist für dasWeitermachen:
Der sich gegendie inOranwütendePest auflehnendeDr. Rieuxweiß, seineAuf-
gabebestehtdarin, immerwiedervonNeuemanzufangen(„consisteà recommen-
cer“212), in Sartres Les Séquestrés d’Altona gilt für jeden dysfunktionalen Tag der
HamburgerFamilie:Alles istvonvornzubeginnen(„[t]outestàrecommencer“213),
unddiedreiHöllen-InsassInnen inHuis clos schließenden letztenAktmitder (al-
ternativlosen)Absicht, ihreSituationfortzusetzen(„[e]hbien,continuons“214).
Camus’1950aufDeutscherschienenerEssayDerMythosvonSisyphos.EinVer-
such über das Absurde findet wenigWiderhall in der Presse, einige Resonanz je-
dochbeiösterreichischenAutorInnen,vondereinfachenErwähnungdesMythos–
sowissen nach Jeannie Ebner alle KünstlerInnen, dass sie „den Stein anpacken“
müssen, „um ihn,wie Sisyphos, immerwieder zumGipfel zuwälzen, auf daß er
wieder zurückrolle“215–bis zurEhrerbietung, sovonMiloDor: Er trifft, als er 1949
in Paris einigeWochen in Paul CelansWohnung verbringt, nicht nur aufManès
Sperber,der ineinemRundfunkgebäudeaufdenChamps-Elyséesarbeitet,sondern
„drückteAlbertCamusdieHand,dessenMythosdesSisyphos, seit ich ihngelesen
hatte, eineArt Bibel fürmich gewordenwar.“216 Produktiv rezipieren Erich Fried
undRudolfHenzdasThemainFormvonGedichten:
paradoxalen Form der Mythenrezeption. (spectrum Literaturwissenschaft, Komparatistische
Studien3.)Berlin2005,S.345–368.
211 Sartre: Interview[mitChristianGrisoli],S. 1916.
212 Camus:LaPeste,S. 149.
213 Sartre:LesSéquestrésd’Altona,S.904.
214 Jean-PaulSartre:Huisclos. In:Sartre:Théâtrecomplet,S.89–128,hierS. 128.
215 Jeannie Ebner: Der Künstler und dieWelt. In: Stimmender Gegenwart, 1953, S. 145–151,
hierS. 151.
216 Dor:AufdemfalschenDampfer,S.204f.Englerthsieht inCamus’Essaidie„zentraleRefe-
renz fürDor inToteaufUrlaub“, ein Text, dessenHeld „auf der Sinnhaftigkeit vonRevolte in
einer ansonsten als sinnlos erkanntenWelt“ bestehe. Holger Englerth: Literatur als Medium
desWiderstands: Milo Dor. In: Sievers (Hg.): Grenzüberschreitungen. Ein literatursoziologi-
scher Blick auf die lange Geschichte von Literatur undMigration.Wien, Köln,Weimar 2016,
S.85–126,hierS. 106.
186 6 StimmenderGegenwart:ExistentialistischeLiteratur
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur