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Es istvorallemAlbertCamus’ „offensivesAblehnendesSprungs indenGlauben“220
inLeMythedeSisyphe, das einigenRezipientInnenSchwierigkeitenbereitet. ImGe-
gensatz zu den imweiteren existentialistischen Rahmen aufgenommenen Christen
EmmanuelMounierundGabrielMarcelundzuSartre,demeigentlichen ‚Gottsucher
widerWillen‘ (cf.Kap.7.3),erweistsichCamusalsdiesbezüglichschwervereinnehm-
bar.SergeDoubrovskyspitztdiesenKontrast1960indenYaleFrenchStudieszu:
Camus, indeed, is the farther away of the two from Christianity, since Sartre is merely
anti-Christian,whileCamus isun-Christian,pagan.SartreandtheChristiansalikeburden
the individual with the weight of his original guilt and the sinfulness of his existence.
ManySartrean themes, suchas responsibility,guilt, anguish,hatredof the flesh […] seem
tobe invertedChristianthemes.Camus,onthecontrary,proclaimsthevalueofsensuous-
nessandtheright tohappiness,even in themidstof theplague221.
Dassmitten imEpidemiegeschehen des hier erwähntenRomans LaPestedie Re-
bellion gegen Gott durchaus ihren Platz hat, verdeutlicht unter anderem eine
Szene, inderderArztRieuxdemüberdenDingenstehendenPaterPanelouxbitter
die an der Pest verstorbenenKinder vorhält: „Auch die grausamste Prüfungwar
fürdenChristennochGewinn.“222 („L’épreuve lapluscruelleétait encorebénéfice
pour lechrétien.“)223Textstellenwiediese lassendas französischeBesatzungsblatt
Kulturelles denRoman sogar als das „antichristlichste seiner Bücher“224 bezeich-
nen.DassLaPeste sich,getragendurchdieBerichterstattung inZeitschriftenaller
Ausrichtungen, in Österreich dennoch großer Beliebtheit (cf. Kap. 4.3) erfreut –
mehr als Camus’ sonstige Prosa undweit mehr als seine Philosophie und seine
Dramen–magandemDiskussionsraumliegen,dendieserantichristlicheDiskurs
eröffnet. Lilly vonSauter fasst inderEuropäischenRundschaumithilfe des „groß-
artigen Buches“ exemplarisch die Erwartungen an den zeitgenössischen Roman
zusammen:„WirerwartenvomRomannichtmehr,daßerunseineGeschichteer-
zählt, eine Fabel, einenBericht,wir verlangen, daß er uns dazubringt, über uns
selbernachzudenken,daßerzueiner innerenOffenbarungwird.“225
Dass es sich bei der positiven Aufnahme eines solchen Buches eher um
einen glücklichen Einzelfall als um die Leserealität handelt, klingt bei Eva
Priester imÖsterreichischen Tagebuch an: Diese Art von Literatur sei von der
220 ThomasAngerer:VersucheinerZusammenschau. In:AngererundLeRider (Hg.):Franzö-
sisch-österreichischeKulturtransfersseit 1945,S.315–337,hierS.320.
221 Serge Doubrovsky: Sartre and Camus: A Study in Incarceration. In: Yale French Studies
1960,Nr. 25,S.85–92,hierS.91.
222 Camus:DiePest,S. 131.
223 Camus:LaPeste,S. 202f.
224 o.V.:Kurznachrichten. In:Kulturelles, 15.11.1948.
225 L.v.S.:PorträtunseresHelden,S.806.
6.3 LiteraturunterdemGalgen:Grenzsituationen 189
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur