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Wenigwundert sichAlfredAnderschdarüber, dassSartredurchseinen litera-
rischen Erfolg in universitären Kreisen „natürlich nicht ernst genommen“56
wird, und ärgert sich über Heideggers plötzliche Behauptung, er kenne Sar-
tresWerke nicht, obwohl er nach eigenen Angaben L’Être et le Néant schon
1945 studiert hat (cf. Kap. 3.1). Das österreichische Publikum liest die Leug-
nung1949 inKulturelles:
WelcheMeinung bildet sich Heidegger über die berühmte existentialistische Lehre, die
seit JahrendieGeisterbeschäftigtundsovieleKontroversenheraufbeschwört?Wieurteilt
erüberdiemodernenwieWahl,Sartre,Camus,Merleau-Ponty,GabrielMarcel, LeSenne,
umnurFranzosenzunennen,diesichmehroderwenigerausschliesslichdieserRichtung
angenommenhaben?SolcheFragenmachen ihmVergnügen.Meinunghat er eigentliche
keine: „Sartre? Ich habe ihn nie gelesen. Übrigens, wissen Sie, ich lese sehrwenig.“ Er
weistaufseinespärlicheBibliothekaufdemRegal.57
Bei einemInterview imSchwarzwald,„weitwegvonderExzentrizitätunddem
Snobismusder ‚Caves‘vonSaintGermaindesPrés“, insistiertHeideggerhinge-
genein Jahr später, Sartrehabe „keineeigeneStellungsnahme“58, undbedient
damitdasverbreiteteVorurteil, dasses sichbeiDasSeinunddasNichtsumein
Plagiat seinesWerksSeinundZeithandle.An französischenUniversitätenwird
empfohlen, besser gleichmitHeideggerVorlieb zunehmen,der hier die Funk-
tion erfüllt, Sartre zu disqualifizieren. („[U]ne des fonctionsmajeures de Hei-
degger, c’était de servir à disqualifier Sartre [les professeurs disaient: ‚Tout
SartreestdansHeideggeret enmieux‘].“59) IndeutscherÜbersetzung liegt eine
56 Andersch: JugendamSchmelzpotteinerKultur,S. 281.
57 Luce-Michèle:Heideggerweigert sichSartrezu lesen. In:Kulturelles, 21.11.1949.
58 o.V.:GesprächmitHeidegger. In:GeistigesFrankreich, 13.11.1950.
59 Bourdieu: Les Conditions sociales de la circulation internationale des idées, S. 5. Robert
NeumannnimmtdiesenAspekt auf in sein „TheatralischesPanoptikum4“. In:Neumann:Die
Parodien, S. 531–550, hier S.542–544 (Hervorhebung imOriginal): „Sekretärin: Herr Doktor,
das ist Herr Dusenschön. / Conferencier: Guten Tag, Herr Dusenschön. /Dusenschön: Guten
Tag? / Conferencier: Nehmen Sie Platz. /Dusenschön: Wozu? / Conferencier: Wieso: wozu? /
Dusenschön: Zahlt es sich aus? / Conferencier: Inwiefern? /Dusenschön: Man stirbt doch so
oder so. /Conferencier: Das bekümmert Sie? /Dusenschön:Wieso?Nein. /Conferencier:Was
bekümmert Sie? /Dusenschön: Daßman überhaupt geboren worden ist. Es zahlt sich nicht
aus. /Conferencier:Odu lieberGott. /Dusenschön: Inwiefern? /Conferencier:Nichts, nichts. /
Dusenschön: Eben! Das Nichts! Das Nichts selbst nichtet. / Sekretärin: Der Herr ist nämlich
DoktorderPhilosophie. /Conferencier:Achso.Ach so!–Existentialist? /Dusenschön:EinHei-
deggermüßtemansein. /Conferencier:Washindert Siedaran? / […]Dusenschön:UmeinHei-
degger zuwerden,müßteman erst ein Sartre sein. / Conferencier: Das habe ich zwar schon
umgekehrt gehört, aber– inwiefern? /Dusenschön:WieeinSartremüßtemanderMenschheit
von sich selber abraten können –womöglich schon vor der Geburt! – umdadurch erlöst zu
werdenzuderphilosophischenBeredtheit einesHeidegger.“
7.1 Wegedes Intellektuellen.SartrezwischendenDisziplinen 241
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur