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Erniedrigung“,mit einemUntertitel („VonBuchenwaldbis zudemDenkenvon
Sartre“),der ihnalsAntipodenSartrespositioniert:
Dergottlos-pessimistischeCharakterdes jetzt inFrankreichsovieldiskutierten„Existenzia-
lismus“ von Jean-Paul Sartre stellt sich ihm so in einen Zusammenhangmit demFaktum
derKonzentrationslager,dieaucheineErfindungunsererZeitsind.Vonderphysischenzur
seelischenErniedrigung führt eindirekterWeg, ein Irrweg, aus demnurderBlick auf das
metaphysischeLichtdeschristlichenGlaubensherausführenkann.91
Marcel bestätigt den Inhalt dieses Zeitungsberichts indirekt indem1951alsLes
hommes contre l’humain publizierten, erst 1964 auf Deutsch erschienenen
Werk, dass vomDurchführen vonSchwangerschaftsabbrüchen in Sartres Krei-
seneinWegzurFolter vonWehrlosen inTodeslagern führt („[i]l existeunche-
min repérable qui conduit de chez les avorteurs, que fréquente la clientèle de
Sartre, auxcampsdemort oùdes tortionnaires s’acharnent surunpeuple sans
défense“92). Ausdrücklich richtet er sich gegen die Sartresche Idee, dass der
Mensch sich selbst erschafft („un être qui se fait lui-même et qui n’est que ce
qu’il se fait“), ebensogegen jene,dasssichWerte freiwählen ließen, fürMarcel
einerdergravierendstenIrrtümervonSartresPhilosophie („unedesplusgraves
erreursdesaphilosophie“93).
Vor dieser Publikation bietet sich alsMarcel-Lektüre inÖsterreich LeMys-
tère de l’Être (1951) an, das bereits ein Jahr später in Übersetzung vorliegt.
Nachdem schon dieWiener Amandus-Edition 1947 ausMarcels noch bis 1954
unübersetzt bleibendemHauptwerk Être et avoir (1935) den AuszugÜber den
Unglauben (Remarquessur l’irréligioncontemporaine)herausbringt (inderÜber-
tragungdes auch schonals Camus-Übersetzer in Erscheinung getretenen Josef
Ziwutschka), verdankt sichnundasGeheimnisdesSeins (1952)demWienerHe-
rold-Verlag.Wie demNachwort von Leo Gabriel zu entnehmen ist, verkörpert
GabrielMarcelals„PhilosophdesDu“denabsolutenGegensatzzuSartres„Wir
sind gemeinsam einsam“94, so der Übersetzer derWerks, HannsWinter, über
die divergierende Behandlung des Themenkomplexes Ich-Andere. Der Unter-
schied zwischenMarcel, also demjenigen, der das Etikett Existentialismus ins
Leben ruft, undSartre, demjenigen, andemes seither haftet, liegt fürArmand
Jacob darin, dass Ersterer andie Stelle vonVerzweiflung undEinsamkeit zum
Gefallen des katholischen Publikums Hoffnung, Liebe und Glauben setzt; er
lassedenMenschennicht„auf sichalleingestellt“ zurück, sondernermögliche
91 N.S.:GabrielMarcelkommtnachWien. In:WienerKurier,01.10.1946.
92 GabrielMarcel:LesHommescontre l’humain.Paris 1951,S. 58.
93 Marcel:LesHommescontre l’humain,S.54, 128.
94Winter:Das jüngsteFrankreich,S. 28.
7.2 ZuruniversitätsphilosophischenAufnahmedesExistentialismus 249
Existentialismus in Österreich
Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Titel
- Existentialismus in Österreich
- Untertitel
- Kultureller Transfer und literarische Resonanz
- Autor
- Juliane Werner
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-068306-6
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 378
- Kategorie
- Kunst und Kultur