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Zur Vorgeschichte des Augsburger Reichstages 35
Vermögen und Gunst der Stunde die Häretiker auch mit gewaltsamen Mitteln
zum Nachgeben zu zwingen26.
Aber Ferdinand setzte die Prioritäten mittlerweise ganz anders. Die Mög-
lichkeit, eine von Karls Auffassungen abweichende Position einzunehmen, hatte
sich für ihn daraus ergeben, daß er aus der für Linz übernommenen Rolle des
Unterhändlers für den Kaiser nun in die eines „unabhängigen“ Vermittlers
gewechselt war27. Er hatte damit in Passau mehr Spielraum für eine Beeinflus-
sung der Dinge nach seiner eigenen Einschätzung gewonnen; vielleicht hat er
das angestrebt, nachdem ihm die Antwort des Kurfürsten Moritz auf die Linzer
Resolution einerseits und die enge kaiserliche Interpretation andererseits ge-
zeigt hatten, wie weit die Standpunkte noch auseinander lagen. Prüft man nun
seine Äußerungen gegenüber Karl zu den Passauer Vereinbarungen28, so fällt
auf, daß er gar nicht versucht hat, die getroffenen Abmachungen im einzelnen
zu begründen. Vielmehr argumentierte er mit den vorteilhaften bzw. schädli-
chen Folgen der Annahme oder Ablehnung für die politische Position des Kai-
sers und des Hauses Habsburg. Nur in dem Umstand, daß der Kaiser sich
überhaupt mit Rebellen vertragen müsse, ohne sie für die Beeinträchtigung
seines Prestiges strafen zu können, sah er eine Zumutung29, nicht aber in be-
stimmten problematischen Punkten. Gleichwohl drängte er auf Zustimmung,
und zwar ohne Änderungen, weil günstigere Vereinbarungen trotz seiner gro-
ßen Anstrengungen nicht durchsetzbar gewesen seien. Als Vorteile machte
Ferdinand geltend: der Kaiser werde durch sein Entgegenkommen das Scheitern
der Verhandlungen verhindern – jedenfalls falle die Verantwortung für einen
Bruch dann eindeutig der Gegenseite zu –, das Reich befrieden, sein Ansehen
bei den Reichsständen, vor allem den vermittelnden und den „noch gehorsa-
men“, befestigen und sie wieder an sich binden30, Spielraum für außenpolitische
Aktionen gewinnen, insbesondere zur Abwehr des drohenden französischen
Angriffs auf die Niederlande, und die Voraussetzungen dafür schaffen, daß er,
Ferdinand, sich weiter der Türken erwehren könne. Im Falle der Ablehnung
dagegen sah Ferdinand den Abfall nicht nur der „noch gehorsamen“ protestan-
tischen, sondern auch der katholischen süddeutschen Fürsten als unvermeidlich
an – er berief sich für diese Beurteilung auf den Herzog von Bayern; seine eige-
ne Position in Ungarn werde dann unhaltbar, und er müsse auch befürchten,
seine österreichischen Erblande an die Türken zu verlieren. Die Folgen für das
Reich seien unübersehbar.
26 Karl an F., 30.6.1552 (Lanz, Corr. 3, S. 318; Korrekturen bei Druffel 2, S. 654); ein weiterer Brief
Karls an F. vom 30.6.52 mit Änderungswünschen bei Druffel 2, S. 650ff. Zur Sache vgl. Bund-
schuh, S. 30
27 Vgl. dazu Lutz, Christianitas, S. 89
28 Ich fasse hier die Argumente der Briefe Ferdinands an Karl vom 22.6., 27.6 und 28.6. zusammen,
obwohl der eigenhändige Brief vom 22.6. einen besonderen Charakter hat. Alle Schreiben bei
Lanz, Corr.3, S. 279ff, 286ff, 300ff, 305ff.
29 Ebda, S. 288
30 Ebda, S. 292: „Et voiant les estas la begninite de vre Mte, et que a regart a les preseruer de do-
mage plus que ce que ont panse, je tiens pour tout certain, que sen sentiront fort obligies, et que
en tous aultres futurs traites seront plus ynclins a seruir et aider a vre Mte, et prandre paine de
traitier aux aferes avenir pour vre honeur, auctorite et profit.“
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien