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Kapitel 4: Der Streit mit Papst Paul IV. – Neue Begründung des
Kaisertums280
Grundsätzlich ist dreierlei festzuhalten: (1) Selds Denkschrift ist sehr wohl
ein Beitrag zur „Grundsatzdiskussion um die rechte politische Ordnung in der
Christenheit“166. Allerdings bietet der Reichsvizekanzler keinen alle Aspekte
berücksichtigenden Entwurf, sondern behandelt nur einen wichtigen Aus-
schnitt, wie es sein Auftrag und die tagespolitische Notwendigkeit, einen Über-
griff des Papstes in die kaiserliche Rechtssphäre abzuwehren, erforderten. Dar-
um prüft Seld vor allem die Kompetenzen des Papsttums und arbeitet ihre Be-
grenzung heraus, während er zum Kaisertum nur so viel sagt, als für die Ziel-
setzung seines Gutachtens nötig ist. Diese Beschränkung wird auch durch einen
Katalog von dreizehn Fragen belegt, die Seld sich auf einem gesonderten Blatt
notiert hat und die alle nur auf Kompetenzen des Papstes gegenüber dem Kaiser
oder Pflichten des Kaisers gegenüber dem Papst zielen167. (2) Aus der Kirchen-
spaltung infolge der Reformation hat Seld für die Stellung des Kaisertums keine
Konsequenzen abgeleitet. Er bewegt sich auf der schon im Hoch- und Spät-
mittelalter entwickelten mittleren Linie, welche die beiden höchsten Gewalten
als voneinander unabhängige göttliche Stiftungen betrachtete, dem Kaiser eine
autonome Sphäre einräumte, zugleich im weltlichen Bereich Kaiser und Papst
aufeinander angewiesen sah, in geistlichen Dingen aber letzterem die Oberho-
heit zugestand168. (3) Die Persönlichkeit Karls V. und die Tatsache, daß sein
Herrschaftsbereich „weltumspannend“ war, haben wohl bei manchen Humani-
sten in Italien und Deutschland eine Wiederbelebung der Idee vom Weltkai-
sertum bewirkt169, und Bosbach hat nachzuweisen gesucht, daß die in den poli-
tischen Manifesten Karls V. faßbaren Funktionen des Kaisers identisch sind mit
den Merkmalen des Universalmonarchen in der Propaganda170. Seld und Ferdi-
nand aber waren anscheinend nüchtern genug, diese Idee nicht aufzugreifen.
Wohl sahen sie im Kaiser das oberste weltliche Haupt, wie das für die legisti-
sche Staatstheorie des 15. Jahrhunderts selbstverständlich war171, es gibt An-
deutungen, daß der Kaiser für die Erhaltung der wahren Religion mitverant-
wortlich und für die Wahrung des Friedens in der Christenheit und ihre Vertei-
digung gegen äußere Feinde zuständig sei, doch es gibt keinen Anklang an ein
„Dominium mundi“ oder die „Monarchia universalis“, keine Beschäftigung mit
der größer gewordenen Welt, die Beschränkung der Machtbasis Ferdinands auf
das Reich ist ständig präsent. Wenn Karl Brandi von Karl V. gesagt hat, er habe
„die Kaiseridee in sich aufgenommen, nicht die Idee des deutschen Königtums,
das ihm dazu verhalf“172, so kann das Gutachten Selds für seinen Bruder Ferdi-
nand als ein Wegweiser zur Rückbesinnung auf diese Verklammerung des Kai-
sertums mit dem deutschen Königtum angesehen werden.
166 Lutz, Christianitas, S. 29
167 HHStA Wien, Rom, Varia Karton 2, Mappe „um 1559“, fol 93r/v
168 Zu dieser mittleren Linie vgl. Royer, S. 129, Andrae, S. 26f u. S. 120, Bosbach, Monarchia, S. 27f
169 Vgl. auch die Überlegungen von Yates, S. 26f
170 Bosbach, Monarchia, S. 52–55
171 Vgl. Andrae, passim
172 Brandi,. Karl V. 2, S. 220
CC BY-NC-ND 4.0 | DOI https://doi.org/10.17438/978-3-402-21806-8
Ferdinand I. als Kaiser
Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Titel
- Ferdinand I. als Kaiser
- Untertitel
- Politik und Herrscherauffassung des Nachfolgers Karls V.
- Autor
- Ernst Laubach
- Verlag
- Aschendorff Verlag
- Ort
- Münster
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-402-18044-0
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 786
- Schlagwörter
- Ferdinand I., Karl V., 16. Jahrhundert, Kaisertum, Reformation, Geschichte, Konfession
- Kategorie
- Biographien