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GENESE EINER HABSBURG-LOTHRINGISCHEN FAMILIENSAMMLUNG 825
teuert, den „vorhandenen Aufzeichnungen“ entnommen sein sollen. Viele
dieser Schilderungen und Angaben wurden von späteren Autoren kritiklos
übernommen, großteils sogar wortwörtlich oder in ähnlichen Formulierun-
gen. Maßgeblich für diese Wirkung waren zweifellos die Autorität Beckers
und der Umstand, dass der gedruckte Katalog auf lange Zeit das für die
Kenntnis der Sammlung in der Öffentlichkeit maßgebliche Referenzwerk
war. Gehen wir die einzelnen Punkte der Reihe nach durch.
Eine lange Tradition war der Vorstellung beschieden, dass Erzherzog
Franz seine Bibliothek bereits in Florenz gegründet hätte. Dabei wird dieser
Gedanke von Becker nicht einmal explizit ausgesprochen; er wird lediglich
durch die Aussagen in drei aufeinanderfolgenden Absätzen suggeriert, und
zwar: 1. „[…] war der Gedanke der Anlage einer Handbibliothek in Sr. kais.
Hoheit dem Erzherzog Franz schon lebendig, als höchstderselbe 1784 seine
Vaterstadt verließ“. 2. „mit einer großen Zahl an Büchern brachte der Prinz
eine besondere Vorliebe für’s Sammeln und einen wissenschaftlichen Eifer
mit“. 3. „Den Grundstock der Bibliothek bildeten seltene Ausgaben der al-
ten Classiker, Werke über Kunst und Archäologie, und technische Monogra-
phien“.1460 Diese noch getrennt und unspezifisch gehaltenen Angaben verfes-
tigten sich bei späteren Autoren zu der griffigen Formulierung, dass Franz
„den Grundstock zu seiner Bibliothek in Florenz gelegt und 1784 eine große
Anzahl von Büchern aus seiner Vaterstadt mitgebracht“ hätte.1461 Wir wis-
sen bis heute tatsächlich so wenig über die frühe Geschichte der Sammlung,
dass sich die Umstände der Gründung nicht wirklich rekonstruieren lassen;
und vor allem lässt sich nicht genau sagen, welche und wie viele Bücher der
Erzherzog aus Florenz mitgebracht und als Grundstock seiner Bibliothek
verwendet hat. Es ist unwahrscheinlich, dass zu Beckers Zeiten mehr davon
bekannt war. Seine Aussagen diesbezüglich sind wohl eher ein aus einigen
Indizien und plausiblen Annahmen konstruiertes Narrativ. Der Umstand
nämlich, dass der Erzherzog 1784 Bücher nach Wien mitgenommen hat, ist
zwar an sich bereits wahrscheinlich und tatsächlich auch belegt;1462 doch
1460 Becker, Sammlungen, Bd. 1, Vorwort [pag. 1].
1461 FKBA30048, fol. 2r u. 4r; Karpf, Fideicommiss-Bibliothek (wie Anm. 663), pag. 4; Wien,
ÖStA, HHStA, GdPFF, A. R., R. 5, Kt. 535, Z. 4866 ex. 1896: Bericht Karpfs an die Ge-
neraldirektion v. 28.03.1896; Jureczek, Porträtsammlung, 455; Life (wie Anm. 670), 10;
Bohatta, Fideicommiss-Bibliothek, 51; Neue Freie Presse, Nr. 13.913 v. 21.05.1903, 10;
Beetz, Porträtsammlung (1926), 59; Beetz, Porträtsammlung (1935), 5. Was ich oben kur-
siv gesetzt habe, findet sich in all diesen Texten in mehr oder weniger paraphrasierter
Form.
1462 Wolfsgruber, Franz I., Bd. 1, 286. Die dort zitierte Aussage des Ajo Graf Colloredo-Wallsee
bestätigt die naheliegende Annahme, dass Erzherzog Franz antike und moderne Klas-
siker (Tacitus, Plutarch, Cassius Dio, Sully, Montesquieu) mitnahm. Die Vermutung, er
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken