Seite - 922 - in Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918 - Metamorphosen einer Sammlung
Bild der Seite - 922 -
Text der Seite - 922 -
KAISERLICHES INSTITUT UND
ERINNERUNGSRAUM922
anfangs – ebenso wie zuvor die Kabinettskanzlei – eine Art „Relais“ im Kom-
munikationsweg zum Kaiser. Unter Chertek jedoch wurden Bewilligungen
bald jedoch fast ausschließlich in Eigenverantwortung der Generaldirektion
erteilt. Ob dies mit ausdrücklicher Zustimmung Franz Josephs erfolgte,
lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Da sich jedoch die bei höherer
Stelle genehmigungpflichtigen Angelegenheiten aufgrund eines weiteren
hier zu würdigenden Phänomens – nämlich der schrittweisen Öffnung der
Fideikommissbibliothek für den Gebrauch der Allgemeinheit – immer mehr
häuften, wäre es durchaus plausibel, dass der Monarch in diesem Bereich
die Verantwortung bewusst abgab. Nur noch wenige die Bibliothek betref-
fende Gesuch wurden jedenfalls seit den 1890er dem Kaiser direkt zur Ge-
nehmigung vorgelegt und das anscheinend auch nur pro forma: Fälle, dass
irgendetwas abgelehnt wurde, sind nicht bekannt; Franz Joseph verließ sich
anscheinend auf die Kompetenz seiner Behörde.
Mit dieser Änderung der Rahmenbedingungen wurde eine ganze Reihe
von kleineren und größeren, teilweise unmerklichen, Entwicklungen ein-
geleitet, die den Prozess der Institutionalisierung vervollständigten. Die
Angleichung der Bezüge und die Einteilung in die Rangklassen der Hof- und
Staatsbediensteten wurde bereits bei der Neuregulierung des Gehaltsstatus
im Jahr 1877 durchgeführt und im Zuge der Änderungen des Status in den
Jahren 1899 und 1907 erneut angepasst. Die administrative Angliederung
an die Hofbibliothek, die seit 1898 für einige Jahre im Raum stand, hätte die
Verankerung im bürokratischen System des Staates vermutlich noch weiter-
getrieben bzw. gefestigt. Auch wenn sie letztlich nicht realisiert wurde, setzt
sich der Prozess der Institutionalisierung durch unauffällige Veränderun-
gen und Routinen weiter fort: Nach den beiden letzten Übersiedlungen zu
Beginn des 20. Jahrhunderts erhält die Fideikommissbibliothek eigene Bü-
roräume, Magazine und Bereiche für den Öffentlichkeitsbetrieb (Lesesaal,
Ausstellung). Der „diensthöfliche“ Verkehr mit Behörden und Sammlungen
des Staates ist zu einer Selbstverständlichkeit geworden; und die wissen-
schaftlichen Aktivitäten der Bibliothekare der Fideikommissbibliothek zeu-
gen davon, dass in ihnen das gleiche Berufsethos wirksam war wie bei den
wissenschaftlichen Mitarbeitern der großen öffentlichen Museen und Biblio-
theken der Residenzstadt.
Meine zweite zentrale Schlussfolgerung hängt eng mit der ersten zu-
sammen, sie ergibt sich gewissermaßen geradezu aus ihr. Sie besagt, dass
sich die Fideikommissbibliothek bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrie-
ges schrittweise in eine Institution transformierte, deren Zweck durch den
Gebrauch durch die Öffentlichkeit bestimmt war. Am deutlichsten kommt
dies in einer bereits zitierten Stellungnahme von 1920 zum Ausdruck, in
der der damalige Sammlungsdirektor, Rudolf Payer-Thurn, die „Zugäng-
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
Metamorphosen einer Sammlung
- Titel
- Die Familien-Fideikommissbibliothek des Hauses Habsburg-Lothringen 1835–1918
- Untertitel
- Metamorphosen einer Sammlung
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21308-6
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 1073
- Kategorien
- Geschichte Chroniken