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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Förderungen späterer Entwicklungen, sie geben uns Aufschlüsse über das kindliche Sexualleben und somit über das menschliche Sexualleben überhaupt. Wenn wir also hinter unseren entstellten Träumen alle diese perversen Wunschregungen wiederfinden, so bedeutet es nur, daß der Traum auch auf diesem Gebiet den Rückschritt zum infantilen Zustand vollzogen hat. Eine besondere Hervorhebung unter diesen verbotenen Wünschen verdienen noch die inzestuösen, d.  h. die auf Geschlechtsverkehr mit Eltern und Geschwistern gerichteten. Sie wissen, welcher Abscheu in der menschlichen Gemeinschaft gegen solchen Verkehr verspürt oder wenigstens vorgegeben wird und welcher Nachdruck auf den dagegen gerichteten Verboten ruht. Es sind die ungeheuerlichsten Anstrengungen gemacht worden, diese Inzestscheu zu erklären. Die einen haben angenommen, daß es Züchtungsrücksichten der Natur sind, welche sich psychisch durch dieses Verbot repräsentieren lassen, weil Inzucht die Rassencharaktere verschlechtern würde, die anderen haben behauptet, daß durch das Zusammenleben von früher Kindheit an die sexuelle Begierde von den in Betracht kommenden Personen abgelenkt wird. In beiden Fällen wäre übrigens die Inzestvermeidung automatisch gesichert, und man verstünde nicht, wozu es der strengen Verbote bedürfte, die eher auf das Vorhandensein eines starken Begehrens deuten. Die psychoanalytischen Untersuchungen haben unzweideutig ergeben, daß die inzestuöse Liebeswahl vielmehr die erste und die regelmäßige ist und daß erst später ein Widerstand gegen sie einsetzt, dessen Herleitung aus der individuellen Psychologie wohl abzulehnen ist. Stellen wir zusammen, was uns die Vertiefung in die Kinderpsychologie für das Verständnis des Traumes gebracht hat. Wir fanden nicht nur, daß das Material der vergessenen Kindererlebnisse dem Traum zugänglich ist, sondern wir sahen auch, daß das Seelenleben der Kinder mit all seinen Eigenheiten, seinem Egoismus, seiner inzestuösen Liebeswahl usw. für den Traum, also im Unbewußten, noch fortbesteht und daß uns der Traum allnächtlich auf diese infantile Stufe zurückführt. Es wird uns so bekräftigt, daß das Unbewußte des Seelenlebens das Infantile ist. Der befremdende Eindruck, daß soviel Böses im Menschen steckt, beginnt nachzulassen. Dieses entsetzlich Böse ist einfach das Anfängliche, Primitive, Infantile des Seelenlebens, das wir beim Kinde in Wirksamkeit finden können, das wir aber bei ihm zum Teil wegen seiner kleinen Dimensionen übersehen, zum Teil nicht schwernehmen, weil wir vom Kinde keine ethische Höhe fordern: Indem der Traum auf diese Stufe regrediert, erweckt er den Anschein, als habe er das Böse in uns zum Vorschein gebracht. Es ist aber nur ein täuschender Schein, von dem wir uns haben schrecken lassen. Wir sind nicht so böse, wie wir nach der Deutung der Träume annehmen wollten. Wenn die bösen Regungen der Träume nur Infantilismen sind, eine Rückkehr zu den Anfängen unserer ethischen Entwicklung, indem der Traum uns einfach wieder zu Kindern im Denken und Fühlen macht, so brauchen wir uns vernünftigerweise dieser bösen Träume nicht zu schämen. Allein das Vernünftige ist nur ein Anteil des Seelenlebens, es geht außerdem in der Seele noch mancherlei vor, was nicht vernünftig ist, und so geschieht es, daß wir uns unvernünftigerweise doch solcher Träume schämen. Wir unterwerfen sie der Traumzensur, schämen und ärgern uns, wenn es einem dieser Wünsche ausnahmsweise gelungen ist, in so unentstellter Form zum Bewußtsein zu dringen, daß wir ihn erkennen müssen, ja wir schämen uns gelegentlich der entstellten Träume genau so, als ob wir sie verstehen würden. Denken Sie nur an das entrüstete Urteil jener braven alten Dame über ihren nicht gedeuteten Traum von den »Liebesdiensten«. Das Problem ist also noch nicht erledigt, und es bleibt möglich, daß wir bei weiterer Beschäftigung mit dem Bösen im Traum zu einem anderen Urteil und zu einer anderen 124
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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