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Schriften von Sigmund Freud - (1856–1939)
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Es ist dann besonders reizvoll, mit der hl. Anna selbdritt des Louvre den berühmten Londoner Karton zu vergleichen, der eine andere Komposition desselben Stoffes zeigt. Hier sind die beiden Muttergestalten noch inniger miteinander verschmolzen, ihre Abgrenzungen noch unsicherer, so daß Beurteiler, denen jede Bemühung einer Deutung fernelag, sagen mußten, es scheine, »als wüchsen beide Köpfe aus einem Rumpf hervor«. Die meisten Autoren stimmen darin überein, diesen Londoner Karton für die frühere Arbeit zu erklären, und verlegen seine Entstehung in die erste Mailänder Zeit Leonardos (vor 1500). Adolf Rosenberg (Monographie 1898) sieht hingegen in der Komposition des Kartons eine spätere – und glücklichere – Gestaltung desselben Vorwurfs und läßt ihn in Anlehnung an Anton Springer selbst nach der Mona Lisa entstanden sein. Zu unseren Erörterungen paßt es durchaus, daß der Karton die weit ältere Schöpfung sein sollte. Es ist auch nicht schwierig sich vorzustellen, wie das Louvrebild aus dem Karton hervorgegangen wäre, während sich für die gegenteilige Wandlung kein Verständnis ergibt. Gehen wir von der Komposition des Kartons aus, so hat Leonardo etwa das Bedürfnis empfunden, die traumhafte Verschmelzung der beiden Frauen, die seiner Kindheitserinnerung entsprach, aufzuheben und die beiden Köpfe voneinander räumlich zu trennen. Dies geschah, indem er Kopf und Oberleib der Maria von der Muttergestalt ablöste und nach abwärts bog. Zur Motivierung dieser Verschiebung mußte das Christuskind vom Schoß weg auf den Boden rücken, und dann blieb kein Platz für den kleinen Johannes, der durch das Lamm ersetzt wurde. – An dem Louvrebilde hat Oskar Pfister eine merkwürdige Entdeckung gemacht, der man auf keinen Fall sein Interesse versagen wird, auch wenn man sich ihrer unbedingten Anerkennung nicht geneigt fühlen sollte. Er hat in der eigentümlich gestalteten und nicht leicht verständlichen Gewandung der Maria die Kontur des Geiers aufgefunden und deutet sie als unbewußtes Vexierbild. 2780
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Schriften von Sigmund Freud (1856–1939)
Titel
Schriften von Sigmund Freud
Untertitel
(1856–1939)
Autor
Sigmund Freud
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
21.6 x 28.0 cm
Seiten
2789
Schlagwörter
Psychoanalyse, Traumdeutung, Sexualität, Angst, Hysterie, Paranoia, Neurologie, Medizin
Kategorien
Geisteswissenschaften
Medizin
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