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Frühe Brücken
um eine Gebirgsregion, in die sich die genannten und
viele andere Flüsse tief eingeschnitten haben. Man
kann davon ausgehen, dass es hier schon wesentlich
früher Hängebrücken aus vergänglichem Material gab.
Sonst hätte man sich in dieser topographisch so stark
gegliederten Zone kaum überregional bewegen kön-
nen. Von hier und dem angrenzenden Tibet und Nepal
dürften die Hängebrücken ins damalige China gelangt
sein. Die Suche im technisch schon sehr viel weiter ent-
wickelten Han-zeitlichen China nach einem Material
mit deutlich höherer Beständigkeit führte offenbar zum
Schmiedeeisen und zur Hängebrücke von Kintany und
anderen Eisenkettenbrücken.
Abb.: 85
Bei dieser Frau in Menghun in Yunnan in
China am Oberlauf des Mekong und auch
bei fast allen anderen Trägerinnen wurde
mit dieser Spezialkonstruktion ein Teil der
Last von der Stirne mit einem in das Stirn-
lastband integrierten Schulterbrett mit Hals-
ausschnitt auf die Schultern übertragen.
Foto: Hasso Hohmann, 1994 In Yunnan hatte sich aber parallel zur Entwicklung von
Hängebrücken auch ein viel umfassenderes Denken
in zugbeanspruchten Konstruktionen entwickelt. Dem
Autor fielen unterschiedliche Varianten von Hilfsmitteln
zum Tragen schwerer Transportgüter auf, die praktisch
alle auf dem Rücken getragen werden. Viele, vor allem
Frauen, nutzten hier Stirnlastbänder. Als sich Herbert
Tichy 1954 im Nordosten Nepals zum Cho Oyu, einen
Berg mit 8188 m Höhe, als Erstbesteiger aufmachte,
fotografierte er seine Trägergruppe, die ausnahms-
los mit den klassischen Stirnlastbändern die schweren
Lasten für die Bergbesteigung auf dem Rücken trugen.
Das Foto hätte man auch irgendwo im 20. Jh. in Latein-
amerika machen können.
In der gesamten Region um Menghun trugen Frauen
zum Teil erhebliche Lasten mit Hilfe von Stirnlastbändern,
bei denen eine Spezialkonstruktion mit einem in das
Band integrierten Schulterbrett mit Halsausschnitt einen
Teil der Last von der Stirne auf die Schultern übertrug.
Frauen mit Kleinkindern trugen diese in Tragetüchern,
die ähnlich wie bei den Indígenas in Lateinamerika ge-
handhabt werden können. Wollen die Kleinkinder trin-
ken, verdrehen die Mütter das Tragetuch um den Hals
und über die Schulter und das Kind dabei nach vorne.
Die Stirnlastbänder und auch die Tragetücher sind zug-
beanspruchte Objekte aus dem täglichen Leben.
Bei wohl allen Wohnhäusern aus vergänglichem Ma-
terial bestanden die Holz- bzw. Bambusverbindungen,
auch die in den Dachstühlen, aus langen Bambus-
spänen oder aus Stricken aus anderen pflanzlichen
harten Fasern, die oft kunstvoll zu echten Knotenver-
bindungen verarbeitet wurden. Auch die Palmblatt-
deckungen wurden Blatt für Blatt einzeln an die Dach-
lattung angeknotet, so dass sie bei Sturm sicher mit den
Latten auf dem Dach des Hauses verbunden blieben.
Das sind alles zugbeanspruchte Verbindungen. Darü-
ber hinaus gab es sehr viele andere zugbeanspruchte
Dinge des täglichen Lebens, wie beispielsweise auch
hier um den Hals und über die Schultern geschlungene
Tragtücher für Kleinkinder. Man kann sicher zu Recht
sagen, dass es – ähnlich wie in der Neuen Welt – auch
in der Himalaya-Region und seiner Umgebung zu-
mindest in der Vergangenheit zu einem gut erkennbaren
Denken in überwiegend zugbeanspruchten Konstruktio-
nen gekommen ist.
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Titel
- Frühe Brücken
- Untertitel
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Technische Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 306
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen