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Frühe Brücken
Machbarkeitsgrenzen und war auch darauf ausgelegt,
Eindruck zu machen. Riesige aufgeständerte Aquäduk-
te durchzogen die Städte und versorgten sie mit großen
Mengen an Trinkwasser.
Das alles sind druckbeanspruchte Konstrukionen, die
das Denken der Menschen beeindruckten, sich in die
Gehirne eingeprägt haben und das Denken zumindest
tendenziell bis weit in die Neuzeit beeinflussten. Natür-
lich gab es daneben auch Zugbeanspruchtes bei den
Bauten der Römer. Die zur Beschattung des Kolosseums
von seinem oberen Rand weit in Richtung Zentrum der
Anlage vorkragenden langen Stangen, über die weit-
gespannte Textilien heruntergelassen werden konnten,
waren zugbeansprucht. Sie waren aber nur sekundä-
re Architekturelemente. Der Autor ist davon überzeugt,
dass sich auch die Kettenbrücken vor allem des Den-
kens in druckbeanspruchten Konstruktionen wegen in
Europa für so unglaublich lange Zeit nicht durchsetzen
konnten. Sie passten nicht in ihr Denkschema.
Umgekehrt verhielt es sich mit den druckbeanspruchten
Tonnengewölben und Schlusssteinbögen in der Neuen
Welt. Diese zumindest seit dem Beginn unserer Zeit-
rechnung immer wieder zu findenden Baukonstruktionen
waren offenbar jeweils singuläre Erfindungen, die sich
aber nicht durchsetzen konnten, weil dort das Denken
in zugbeanspruchten Konstruktionen viel zu stark ver-
haftet war.
Gräser, Ketten und Drähte
Als sich dann aber in Europa um 1900 die Hänge-
brücken endlich durchzusetzen begannen, ging das
zugleich mit einer Neuerfindung einher. Der neue
Hängebrückentypus verwendete Drähte und Draht-
seile statt Ketten. Die Drähte wurden immer fester und
widerstandsfähiger und bald zu tragenden Kabeln ver-
arbeitet und leiteten eine ungeahnte, damals kaum ab-
sehbare Entwicklung ein. Das geschah in einer Zeit-
phase, in der sich die eigentlich schon fast 2000 Jahre
alte Technik der chinesischen Schmiedeeisenketten-
brücken in Europa erstmals durchsetzte. Die Drahtkabel
hingegen waren ein wirklich neues Element in der Ent-
wicklung von Hängebrücken.
Die Entwicklung ging von geflochtenen Gräsern über
geschmiedete Ketten zu Eisenkabeln hin zu immer leistungsfähigeren Stahlkabeln. Es war also im Wesent-
lichen eine Frage des eingesetzten Brückenmaterials,
wie lang die Brücken halten und wie weit sie gespannt
werden können.
Die mangelhafte Tragfähigkeit war es auch, die sowohl
in der Neuen Welt wie auch in der Alten Welt dazu
führte, dass es zunächst keine Trennung zwischen Trag-
seilen und Laufebene geben konnte. Die Handlauf- und
die Laufebenentaue mussten parallel zueinander durch-
hängen. Erst, als die Seile tragfähiger wurden, vollzog
sich auch der Prozess der Trennung zu Tragkabeln und
angehängten Laufebenen. Es dürfte noch eine ge-
wisse Zeit gebraucht haben, bis die Laufebene nicht
mehr durchhing und eben wurde, wie in Freiburg in der
Schweiz, oder sogar leicht bombiert geführt angehängt
wurde, wie bei vielen modernen Hängebrücken des
ausgehenden 20. Jh..
Beim Wechsel vom einen zum nächsten Baumaterial
für Hängebrücken dürfte vielfach zunächst der jeweils
ältere Brückentypus im neuen Material nachgebaut
worden sein, wofür die Kettenbrücke bei Lhasa aus
dem Jahr 1430 und auch die in Nordostnepal spre-
chen. Im Himalaya dürfte sich die alte Form der Brü-
cken aus vergänglichem Material noch relativ lange
gehalten haben. Sobald man aber höhere Portaltürme
baute, erkannte man die Möglichkeiten und auch sta-
tischen Chancen einer Trennung von Tragkabeln und
Nutzebenen, die sich aus dem neuen Werkstoff und
seiner deutlich höheren Zugaufnahmefähigkeit ergaben.
So dürfte die in China im 1. Jh. geschmiedete Kintany
Kettenbrücke noch durchgehangen haben, was ange-
sichts der Anzahl an Ketten und der Beschreibung, dass
ihre hölzerne Nutzfläche über den Ketten montiert war,
angenommen werden darf. Die Vielzahl an Berichten
über spätere Kettenbrücken hingegen ergibt, dass bei
diesen die Laufebenen jeweils an zwei geschmiedeten
Ketten angehängt wurden. Es gab also schon eine Tren-
nung in tragende Ketten und angehängte Laufflächen.
Aber die Möglichkeit, die Lauffläche durch höhere
Portaltürme eben zu gestalten, wurde wohl noch nicht
so bald erkannt und realisiert.
Es gab also eine klare Trennung zwischen tragenden
Ketten und angehängten Nutzflächen, was bei der
Chushul-Chakzam-Kettenbrücke südwestlich von Lhasa
gut zu sehen war. Dass diese Trennung schon bald
Frühe Brücken
Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Titel
- Frühe Brücken
- Untertitel
- Zug- oder druckbeanspruchte Konstruktionen, kreative, innovative und interessante Brücken
- Autor
- Hasso Hohmann
- Verlag
- Technische Universität Graz
- Ort
- Graz
- Datum
- 2021
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-833-2
- Abmessungen
- 20.0 x 27.0 cm
- Seiten
- 306
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen