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den weiteren Verlauf des Forschungsprozesses und seine inhaltliche Aus-
richtung beeinflussen. Diese Methoden werden hauptsächlich in Bereichen
der Soziologie und Psychologie, Ethnomethodologie, Pflegewissenschaften,
Gesundheitsforschung und Entwicklungsforschung angewendet. Anhand
ihrer unterschiedlichen Entstehungsgeschichte lassen sich diese Methoden
voneinander differenzieren. So handelt es sich bei der reflexiven/partizipati-
ven Fotobefragung um eine Weiterentwicklung von Fotointerview- und Foto-
elizitations-Methoden mit höherem partizipativem und prozesshaftem Cha-
rakter. Im Gegensatz dazu hat sich der Photo Novella/Photovoice-Ansatz aus
einem bildungspolitisch, feministisch und fotokritisch motivierten Praxisfeld
herausgebildet (Burris/Wang 1997: 370). Als elementare Herausforderung stellt
sich dabei die Frage, wie Menschen an der Erforschung und damit zugleich
der Gestaltung ihrer sozialen Wirklichkeiten und Umgebungen beteiligt wer-
den können. Ziel ist es, dass die Teilnehmer_innen durch ihre eigene fotografi-
sche Praxis ihre Bedürfnisse ermitteln, Situationen von Marginalität visuali-
sieren, dabei kollektives und dialogisches Handeln fördern und sich damit an
politische Entscheidungsträger_innen und die Öffentlichkeit wenden (Burris/
Wang 1994: 171ff.). Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen dem Ansatz der
Photo Novella/Photovoice und jenem der reflexiven Fotografie/partizipativen
Fotobefragung lassen sich anhand der beispielhaften Ausführungen von
Laura Lorenz und Bettina Kolb (2009) gut nachvollziehen. Sie beschreiben
exemplarisch den Prozess der reflexiven Fotobefragung anhand eines Projek-
tes in Fez/Marokko, und den Photovoice-Ansatz anhand eines Projektes in
Massachusetts/USA. Beide Projekte wurden im Bereich der Gesundheitsvor-
sorge durchgeführt.
Partizipative/reflexive Fotobefragung Im ersten Beispiel (Lorenz/Kolb
2009: 264–268) geht es um Menschen in Fez, die im Umkreis einer traditionel-
len Badeanstalt lebten und diese auch besuchten. Das Forschungsprojekt
war in ein größeres Forschungsprogramm eingebettet, das in vier weiteren
Ländern (Algerien, Ägypten, Syrien und Türkei) umgesetzt wurde. Ziel des
Gesamtprogramms war es, Strategien für die Zukunft der Hammams und ihrer
Umgebung zu erarbeiten. Es ging konkret darum, herauszufinden, wie die
Menschen vor Ort ihr Hammam bewerteten und welche Rolle es in ihrem
täglichen Leben und in der Gesundheitsvorsorge einnahm. Das Forschungs-
projekt in Fez wurde von einem interdisziplinären Team umgesetzt, das
neben der partizipativen Fotobefragung noch verschiedene andere qualitative
Methoden einsetzte. Voraussetzung für die Umsetzung war die Zusammen-
arbeit mit einer Partnerorganisation vor Ort. Das Projekt wurde methodisch
wie folgt angelegt: Fünf Teilnehmer_innen, Menschen, die im Umfeld des
Hammams lebten, wurden von Mitarbeiter_innen der Partnerorganisation
ausgewählt. Sie erhielten Einwegkameras und wurden gebeten, positive
und negative Aspekte des Hammams zu fotografieren. Dadurch wurden im
Projekt in Fez 120 Fotos generiert. Zu diesen Fotos wurden Interviews
gemacht, parallel dazu fanden Feldbeobachtungen statt. Die Interviews zu
den Fotos wurden transkribiert und analysiert. Der Prozess führte unter ande-
rem zur Erkenntnis, dass die traditionelle Badeanstalt in Fez im Vergleich zu
jenen in den anderen Projektländern besser in das moderne Leben vor Ort
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien