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117 3.3 GENERATIVE BILDARBEIT
„Wir müssen uns vor Augen halten, dass die Hoffnungen, Motive und
Ziele, die eine sinnvolle Thematik implizieren, menschliche Hoffnungen,
Motive und Ziele sind. [...] Diese Themen begreifen und verstehen, heißt
sowohl den Menschen verstehen, der sie verkörpert, wie auch die Wirk-
lichkeit, auf die sie sich beziehen. Aber eben, weil es nicht möglich ist,
diese Themen abgesehen vom Menschen zu verstehen, ist es notwendig,
daß auch die betreffenden Menschen sie verstehen. Thematische Unter-
suchung wird so zu einem gemeinsamen Bemühen, die Wirklichkeit
ebenso wie sich selbst wahrzunehmen [...].“ (Freire 1978: 89)
In diesem Abschnitt wird das Ergebnis meiner fotografisch-visuellen Metho-
denentwicklung — die Generative Bildarbeit — beschrieben. Die Ausführungen
sollen gleichzeitig als Anleitung für die Umsetzung Generativer Bildarbeit in
konkreten Forschungsprojekten dienen. Zuerst erläutere ich den methodolo-
gischen Rahmen Generative Bildarbeit anhand seiner rekursiven Verfasstheit,
um auf dieser Basis die vier methodischen Elemente der Generativen Bild
arbeit — den Impuls, das Fotografieren, den Bilddialog und das Mapping —
zu beschreiben. In der Folge erläutere ich verschiedene Varianten und Emp-
fehlungen für die konkrete Anwendung. Abschließend stelle ich die Generative
Bildarbeit in den Kontext fotografisch-visueller Ethik.
3.3.1 METHODOLOGISCHE GRUNDLAGE — REKURSIVITÄT
Generative Bildarbeit ist ein qualitativer, prozessorientierter methodischer
Rahmen, basierend auf fotografischer Praxis, und soll zum gemeinsamen
Forschen und Arbeiten in Situationen kultureller Differenz (Bhabha 2004)
eingesetzt werden. In Anknüpfung an die Systematisierung interaktiver Foto-
Methoden kann Generative Bildarbeit als methodische Fortentwicklung von
Interaktionsebene 3 betrachtet werden. Dabei wird zunächst ein Gruppenpro-
zess eingeleitet, bei dem Forschende verschiedener Erkenntniskulturen (Men-
schen aus diversen Wissenschafts- und Alltagskulturen) individuell in ihrem
Alltag fotografieren und anschließend ihre Fotos als Diskussions- und Reflexi-
onsbasis in den Gruppenprozess einbringen, um daraus gemeinsame Themen
und Fragestellungen zu erarbeiten. Einzelne methodische Elemente werden
dabei so gesetzt, dass alle Beteiligten gleichermaßen als Fotograf_innen, Foto-
motive und Betrachter_innen tätig sein können. So wird für die Beteiligten
unvermittelt (quasi: am eigenen Leib) erfahrbar, wie sich die verschiedenen
Rollen anfühlen und welche unterschiedlichen Perspektiven mit den verschie-
denen Positionen verbunden sind. In einem permanenten Abgleichen von
Selbst- und Fremdwahrnehmung stellt das Lesen und Hinterfragen der All-
tagsfotos aller Beteiligten im Gruppenprozess den wichtigsten Wirkungs
aspekt
Generativer Bildarbeit dar. Der Rahmen der einzelnen Fotos und Bildstrecken
wird dabei um jene Aspekte erweitert, die zwar nicht augenscheinlich sind,
aber zum Bewusst-Sehen unbedingt gebraucht werden. Erst nachdem die gene-
rierten Fotos von den beteiligten Personen in Dialoggruppen diskutiert und
reflektiert wurden, können die zentralen Themenfelder und Fragestellungen
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien