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sich dabei um die allgemeine sozialwissenschaftliche Idee der Operationalisie-
rung. Anhand der Indikatoren werden Konzepte gebildet, von denen verlangt
wird, dass sie sich jedenfalls mit empirischen Daten begründen lassen.
Deduktion, Induktion, Abduktion
Je nach Prozessphase wurden beim Kodierverfahren im Forschungsstil
der Grounded Theory gleichermaßen deduktive, induktive und abduktive
Schritte gesetzt. Bei deduktiven Verfahren wird grundsätzlich ein Phänomen
mit Fokus auf Präkonzepte in Form von vorab generierten Kategorien oder
Thesen untersucht. Dabei geht man von einem bekannten „Allgemeinen“
bzw. einem allgemein gültigen Zustand aus und versucht mithilfe dieses
Wissens einen besonderen bzw. einzelnen Fall näher zu bestimmen. „Hier
wird eine vertraute und bewährte Ordnung auf einen neuen Fall angewendet.“
(Reichertz 2012: 279). Durch deduktive Schritte in bestimmten Kodierphasen
konnte ich herausfinden, ob und auf welche Weise bestehende Präkonzepte
Relevanz für die zentrale Fragestellung haben. Es wurden dabei keine neuen
Konzepte oder Theorien entdeckt, kreatives Forschungspotential wurde eher
nicht bedient; es konnte jedoch ein hoher Grad an Gültigkeit für die Schluss-
folgerungen erreicht werden.
Bei induktiven Vorgehensweisen hingegen wird das Datenmaterial
auf interessante Stellen hin untersucht, ohne dass dabei schon bestimmte
Präkonzepte bzw. Thesen angewendet werden. Erst das, was im Datenmaterial
als qualitative Besonderheit oder als quantitative Auffälligkeit vorgefunden
wird, führt zu Thesen, die nicht explizit in den Daten abgebildet sind, sich
jedoch aus dem Datenmaterial begründen. Es geht hierbei darum, „im Daten-
material vorgefundene Merkmalskombinationen zu einer Ordnung oder
Regel zu ‚verlängern‘, zu generalisieren.“ (ebd.: 279). Die Schlussfolgerungen,
die aus induktiven Verfahren gezogen werden, können als „wahrscheinlich“
eingestuft werden und haben einen geringeren Gültigkeitsgrad als jene aus
deduktiven Verfahren (Breuer 2010: 53). Der Vorteil der induktiven Vorgehens-
weise lag im vorliegenden Forschungsprojekt darin, dass aufgrund der theore-
tischen Offenheit gegenüber dem Datenmaterial das bestehende Wissen
über das zentrale Phänomen aus neuen Perspektiven betrachtet und so völlig
neue Aspekte entdeckt werden konnten.
In der Methodendiskussion darüber, welche Herangehensweise geeig-
net ist, um tatsächlich neue Theorien zu entwickeln, werden sowohl induktive
als auch deduktive Verfahren als begrenzt geeignet eingestuft (Kelle 1994). In
dieser Diskussion beziehen sich Methodiker_innen auf Charles Sanders Peirce,
der die Abduktion als jene Herangehensweise beschreibt, die im Gegensatz
zu Deduktion und Induktion tatsächlich zur Erkenntniserweiterung dient
(Reichertz 2012: 276; Peirce 1986, 1992). Die Bedingung für abduktives Forschen
lässt sich dementsprechend prägnant zusammenfassen: Es braucht Geistes-
blitze! So wurden auch abduktive Schritte im Kodierprozess der vorliegenden
Forschungsarbeit gesetzt, um Merkmalskombinationen zu entdecken, die
überraschen und mithilfe des vorhandenen Wissensrepertoires nicht erklärt
werden können. Der Überraschungseffekt und die Auseinandersetzung mit
dem Ungewissen forderten gewissermaßen dazu heraus, nach neuen Erklärun-
gen zu suchen — mithilfe geistiger Anstrengung und kreativem Erfindungs-
Generative Bildarbeit
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Titel
- Generative Bildarbeit
- Untertitel
- Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
- Autor
- Vera Brandner
- Verlag
- transcript Verlag
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-5008-6
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 276
- Schlagwörter
- Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
- Kategorie
- Medien