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Generative Bildarbeit - Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
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„Paulo, wir schlagen dir vor, daß du weitermachst mit dem Schreiben. Aber schreib für Intellektuelle und nicht mehr für uns. Sag den Intellek- tuellen, sie sollen nicht mehr länger abends in unserer Nachbarschaft auftauchen und uns belehren, was Revolution ist. Wir wissen das selbst und wir sind müde davon, uns belehren zu lassen.“ (ebd.: 113) Dieser Brief an Freire bringt zentrale Aspekte zur Sprache, die gleichzeitig als Kritik im Detail und als Bestätigung für sein Gesamtkonzept gelesen werden können: Zum einen werden statische Subjekt- und Objektpositionen ange- klagt, wenn die Arbeiter_innen in ihrem Brief bitten, dass Freire nicht mehr länger in einem Text über und an sie als Objekte schreiben solle. Zum anderen wird in dem Schreiben deutlich, dass sich dieses statische Verhältnis allge- mein in der Beziehung zwischen Intellektuellen und Arbeiter_innen, ähnlich wie zwischen Forscher_innen und Beforschten wiederfindet — die Arbeiter_in - nen wollen jedoch nicht länger in diesem Missverhältnis „be-lehrt“ werden. Ungleichheitsverhältnisse können demnach anhand fixierter Subjekt- und Objektpositionen festgemacht werden: Das vermeintlich wissende Subjekt schreibt über die Anderen und will sie dabei über ihre eigene Situation aufklä- ren. In diesem Zusammenhang muss jedoch unbedingt die Doppeldeutigkeit betrachtet werden, die mit dem Begriff des Subjekts einhergeht (Reckwitz 2012: 14). Subjektsein kann sich einerseits als die aktive, handelnde Oppositi- on zum passiven Objektsein gestalten. Wird die Bedeutung von subjectum und, davon abgeleitet, die englische Redewendung “to be subjected to some- thing” (ebd.) beleuchtet, wird offensichtlich, dass ein solches Subjekt nicht nur Macht über ein Objekt ausübt, sondern selbst immer schon unterworfener Teil eines Ganzen ist. Auch das mächtige Subjekt ist bestehenden Diskursen und Habitusformen unterworfen. Mein Forschen, die vielfältigen Interaktionen auf diesem Weg und die Ergebnisse der vorliegenden Forschungsarbeit veranlassen mich, hier abschlie- ßend eine utopistische Form der Forschungspraxis zu formulieren — ähnlich, wie ich es im praxeologischen Selbstversuch zum Thema Bildungsalternativen gemacht habe. Diese Utopie betrifft genau jenen Aspekt, den die Arbeiter_innen in ihrem Brief an Freire beklagen und dem ich im Laufe meiner Forschungs- arbeit immer wieder begegnet bin: die Ungleichheitsverhältnisse zwischen Menschen aus völlig unterschiedlichen Wissens- und Erkenntniskulturen und die daran gekoppelten Diskurse und Habitusformen. In meiner Forschungs- utopie gehen Forschung und Bildung Hand in Hand und bilden einen Arbeits- platz im Dazwischen. Dieser Arbeitsplatz ist von wechselseitigem Lernen und dynamischen Subjekt- und Objektpositionen geprägt. Die Forscher_innen sind herausgefordert, gewachsene Wissensbestände zu bedienen und sie wei- ter wachsen zu lassen, gleichzeitig auch Orte aufzuspüren, die noch nicht als Orte des Wissens anerkannt sind. Vor allem sind sie jedoch herausgefordert, ihr eigenes Wissen nicht über das generative Wissen von Menschen abseits des wissenschaftlichen Feldes zu stellen. Ein Balanceakt im eigenen Tun ist gefordert — es geht darum, geeignete Umgangsformen zu entwickeln. Dafür ist allerdings eine Vorbedingung notwendig, die vor allem die Forscher_innen betrifft: die Bereitschaft, trotz der eigenen Habitusgebundenheit aus der eige- nen Komfortzone, dem sicheren universitären bzw. institutionellen Rahmen 255
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Generative Bildarbeit Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Titel
Generative Bildarbeit
Untertitel
Zum transformativen Potential fotografischer Praxis
Autor
Vera Brandner
Verlag
transcript Verlag
Datum
2020
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-8394-5008-6
Abmessungen
14.8 x 22.5 cm
Seiten
276
Schlagwörter
Forschendes Lernen, Fotografische Praxis, Methodik, Generative Bildarbeit, Grenzarbeit, Kulturelle Differenz, Praxeologie, Selbstversuch, Reflexive Grounded Theory, Selbstwahrnehmung, Fremdwahrnehmungen, Situationalität, Reflexivität
Kategorie
Medien
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