Seite - 78 - in Germanistik in Wien - Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
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komme, der zwar „innerhalbÖsterreichs Bescheid“ wisse und der „Ver-
ständnis […] für die besondere SendungÖsterreichs“ habe, der aber vor
allem „über dessen jetzige Grenzen hinausgehen“ könne, also „wie ein
GesandterderübrigenDeutschenbeidiesemdeutschenStammezuwirken
imStande“ sei.281
Neben der politischenAusrichtung gingBrecht auf die vom ihmge-
wünschte innerfachliche Positionierung seines potentiellen Nachfolgers
ein. Dabei verfolgte Brecht seiner eigenen Auffassung entsprechend das
Konzept einer diplomatischen und konsensfähigen Wissenschaftsan-
schauung. So sollte seinNachfolger kein „Anhänger extremster Richtun-
gen“ sein, sondern
noch unausgegorenen extremen Lehrmeinungen fernstehend, von dem soli-
denBoden philologischer und historischer Auffassung undAusbildung aus-
gehend,womöglich auchdenMethodenderAltgermanistik nicht fremd, im
Stande [sein], das Berechtigte und Unberechtigte gegenwärtig lebendiger
Strömungen mit reifem Urteil zu scheiden und nur dasjenige, was seiner
ruhigen Prüfung standgehalten hat, aufzunehmen und so zu einer wissen-
schaftlichhaltbarenSynthesehistorischerundbegrifflicherArtzugelangen.282
Als „zweifellos hervorragendst geeignete Persönlichkeit“, die sowohl poli-
tischalsauchaufgrundihrerWissenschaftsauffassungallenAnforderungen
gerechtwürde,wurdePaulKluckhohnpräsentiert,daer sichebensodurch
„[s]eine gesamtdeutsche Einstellung“ auszeichne wie durch „seine Ver-
bindung von Philologie und Geistesgeschichte, von neuerer mit alter
Germanistik“ und durch „seine vernünftigemittlereHaltung in den ge-
genwärtigenKämpfen innerhalb derDisziplin“.
Die beidenWiener Anwärter auf die Professur Eduard Castle und
RobertFranzArnoldfertigteBrechtnebenbeiab(zu„enge[]Spezialisten“).
ÄhnlicheswiderfuhrdenbeidengefährlichstenKonkurrentenKluckhohns
281 Bericht der Kommission betreffend der Wiederbesetzung der Lehrkanzel für
deutsche Sprache und Literatur nach Professor Brecht vom 5. Juni 1926 (Ab-
schrift); UAW, Phil. Fak., PA 2216 Paul Kluckhohn. – Politische Interessen
spielten bei Wiener Lehrstuhlbesetzungen auch schon im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts eineRolle.Nurwarmanbeidiesen imGegensatz zuden1920er
Jahren noch daran interessiert, niemanden zu berufen, der „in intime[r] Verbin-
dung mit den hiesigen ,deutschnationalen‘ Burschenschaften“ stand bzw. ein
„politische[r] Gesinnungsverwandte[r]“ Scherers war. Vgl. Scherer/Schmidt:
Briefwechsel (1963), S. 155–157.
282 Bericht der Kommission betreffend der Wiederbesetzung der Lehrkanzel für
deutsche Sprache und Literatur nach Professor Brecht vom 5. Juni 1926 (Ab-
schrift);UAW,Phil. Fak., PA2216PaulKluckhohn.
I. Die Verfasstheit derWiener
Germanistik78
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher