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dentenschaft“unterteilt.293Dabeihandelte es sichumdieHerstellungvon
„Zwangsgemeinschaften“294 nach völkisch-rassischen Gesichtspunkten,
mithinumdieEinteilungderStudierenden in ,arisch‘und ,nichtarisch‘.295
Wie aus den Erinnerungen der damaligen Germanistikstudentin und
späterenDeutschlehrerinMinnaLachs hervorgeht,war auchKluckhohns
Verhalten gegenüber Studierenden nicht frei von antisemitischen oder
zumindest antipolnischenRessentiments; gleichzeitig verweigerte er aber
den Schlägertruppen der deutschnationalen Studentenschaft seine Un-
terstützung:
Ichwarim3.Semester[Wintersemester1928/29,E.G.],als ichmichbeiProf.
Kluckhohn zu einem Kolloquium anmeldete. Er hielt die Prüfungen in
Dreiergruppen ab und gestattete Studierenden zuzuhören. Ich war in einer
Gruppe mit zwei ahnungslosen Studenten, die sich anscheinend auf ihre
Schmisse verlassen hatten.Der eine schüttelte bei der erstenFrage denKopf
und tatdenMund fastnicht auf, unddieFrageging andenzweitenPrüfling
über, derUnzusammenhängendesmurmelte, und die Frage landete beimir,
ich beantwortete sie richtig und ausführlich.Das ging so eineWeile, bis sich
der Professor erhob.Wir folgten ihmalle drei, vonFreundenbegleitet, zum
Dekanat, umdieZeugnisse entgegenzunehmen.DiebeidenBurschenhatten
ein „Gut“, und ichwar nur gerade durchgekommen. „Dasmuß ein Irrtum
sein“, sagten die beidenKollegen, „wir wartenmit Ihnen, bis derHerr Pro-
fessor herauskommt und Sie ihn gleich fragen können.“ Nach einigem
Sträubengabichnach.IchhieltProf.KluckhohnmeinZeugnishinundsagte:
„Ich habe doch alle Fragen beantwortet, Herr Professor, ist dies nicht ein
Irrtum?“ Er antwortete nicht und ging hoch erhobenen Hauptes an mir
vorbei,alsobichLuftwäre.Dieumstehendenwarenbetroffen,aber ichnicht,
denn ichwußte, was es bedeutete, imMeldebuch, in der SpalteGeburtsort,
„Trembowla, Polen“ stehen zuhaben.
Jeden Samstag hatten die deutsch-nationalen Studenten der schlagenden
Verbindungen ihrenKorso in denWandelgängen derUniversität. Anschlie-
ßend stürmten sie die Hörsäle mit demRuf: „Juden raus!“ Ich wußte von
keinemProfessor, der sich ihnen entgegengestellt hätte.Daher war ich auch
sehr erstaunt über das Verhalten von Professor Kluckhohn, als sie in seine
293 StudentenordnungderUniversitätWienvom8.April1930;zit.n.Lichtenberger-
Fenz: „…deutscher Abstammung undMuttersprache“ (1990), S. 91. Zur Ein-
führung dieser Studentenordnung, denReaktionen darauf und zu ihrerWieder-
abschaffung 1931 vgl. ebd., S. 84–138.
294 SoJosefHupka,ProfessorderRechteanderUniversitätWien, inderNeuenFreien
Presse vom23.April 1930.Hupka:DieStudentenordnungderUniversitätWien
(1930), S. 1.
295 Nachmassiven Protesten und einemVerfahren vor demVerfassungsgerichtshof
wurde die Studentenordnung am20. Juni 1931, ein Jahr nach Inkrafttreten, für
ungesetzlich erklärt und aufgehoben.
I.4. Paul Kluckhohn, Josef Nadler und das Ende der Privatdozenten 81
Germanistik in Wien
Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Titel
- Germanistik in Wien
- Untertitel
- Das Seminar für Deutsche Philologie und seine Privatdozentinnen (1897–1933)
- Autor
- Elisabeth Grabenweger
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-045927-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 290
- Schlagwörter
- German literary studies, literary text, history, first female scholars, Wiener Germanistik, Wissenschaftsgeschichte
- Kategorie
- Lehrbücher