Seite - 32 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Bild der Seite - 32 -
Text der Seite - 32 -
32 Eveline G. Bouwers
dies in der Geschichte des europäischen Kolonialismus; die Missionierung
indigener Völker ging mit physischer Gewalt einher und war darüber hi-
naus selbst eine Form von struktureller Gewalt 73. Ein weiteres Beispiel bieten
die autoritären und totalitären Regime im Europa und Lateinamerika des
»kurzen 20. Jahrhunderts«, die in einem 2013 von Silke Hensel und Hubert
Wolf herausgegebenen Band über Katholizismus und Gewalt im Mittelpunkt
stehen. Das Buch verspricht ein Korrektiv zu den vielen Studien zu sein,
die »religiöse Gewalt« mit islamisch legitimiertem Terrorismus verbinden,
wodurch »das Problem religiös motivierter oder legitimierter Gewalt außer-
halb Europas an[gesiedelt]« werde74. Indem der Band die »Gewaltausübung«
vonseiten der Römisch-Katholischen Kirche und ihren Mitgliedern, wie auch
deren Verhalten gegenüber »konkreten Gewaltgeschehen« in nicht-demokra-
tischen Staaten untersucht, droht allerdings eine Vermischung von »violen-
tia« und »potestas« (eine von Diktaturen ausgeübte Gewalt ist, selbst wenn sie
physischer Natur ist, nicht unbedingt »violentia«)75. Insgesamt erinnert der
Band jedoch an die Notwendigkeit einer umfassenderen Analyse des Ver-
hältnisses von Religion und Gewalt in der Neuesten Geschichte76.
Liegen also erste Überblicksdarstellungen für die Frühe Neuzeit und
das 20. Jahrhundert vor, fehlt bislang eine vergleichende Untersuchung für
das 19. Jahrhundert. Dieses Defizit mag mit der bereits zitierten Annahme
zusammenhängen, Konflikte im religiösen Raum hätten im 19. Jahrhundert
kaum noch physische Streitigkeiten hervorgerufen. Haben einzelne Studien
bereits belegt, dass dieses Fazit zu kurz greift, soll nun im vorliegenden Band
die Beziehung von Glaube und Gewalt für die Jahre von der Französischen
Revolution bis zum Ersten Weltkrieg systematisch hinterfragt werden77.
73 Siehe auch Ulrich van der Heyden / Jürgen Becker (Hg.), Mission und Gewalt. Der
Umgang christlicher Missionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums
in Afrika und Asien in der Zeit von 1792 bis 1918 / 19, Stuttgart 2000.
74 Silke Hensel / Hubert Wolf, Einleitung, in: Die Katholische Kirche und Gewalt
in Europa und Lateinamerika im 20. Jahrhundert, in: Dies. (Hg.), Die katholische
Kirche, S. 11–28, 11. Für eine ältere Studie mit ähnlichem Profil, siehe auch Ewoud
Kieft / Madelon de Keizer (Hg.), Religie. Godsdienst en Geweld in de Twintigste
Eeuw, Zutphen 2006.
75 Vgl. Hensel / Wolf, Einleitung, S. 12.
76 Einen ähnlichen Beitrag leistet auch die Forschung zum Jugoslawienkrieg der 1990er
Jahre, die kontrovers diskutiert hat, inwiefern der Krieg als »religiöser« statt als
»nationaler« Konflikt zu begreifen sei. Sabrina P. Ramet, Thinking about Yugo-
slavia: Scholarly Debates about the Yugoslav Breakup and the Wars in Bosnia and
Kosovo, Cambridge 2005.
77 Ein starker Fokus auf Deutschland und Gewaltsemantiken findet sich bei Gerd
Krum eich / Hartmut Lehmann, »Gott mit uns«. Nation, Religion und Gewalt im
19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000. Für Einzelstudien, vorwiegend
national orientiert, siehe auch David Blackbourn, Marpingen. Apparitions of the
Virgin Mary in Nineteenth-Century Germany, New York 1993; Borutta, Anti-
katholizismus, S.
218–265; Mark Doyle, Fighting Like the Devil for the Sake of God.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918