Seite - 35 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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35Glaube
und Gewalt
Überlaufen brachte. Wie Stauffer zeigt, sollte die Gewalt der religioneros die
Beziehung zwischen der lokalen Gemeinschaft, selbst das Produkt katholi-
scher und indigener Kultur, und ihren göttlichen Fürsprechern auch für die
Zukunft sicherstellen, weshalb sie sich gegen alle Unterstützer der Reform-
politik der Regierung richtete, inklusive des Klerus und katholischer Laien.
Der Beitrag von Péter Techet handelt ebenfalls von Gläubigen, die sich gegen
bischöfliche Anordnungen stellten. Ricmanje war ein Dorf im österreichi-
schen Küstenland, wo nahezu alle Einwohner katholisch und slowenisch-
sprachig waren. Unter Einfluss ihres Kaplans beanspruchten sie ab 1898 u.a.
die Anerkennung muttersprachlicher Gottesdienste. Aus Angst vor Unru-
hen und im Einklang mit der pro-slawischen Politik von Leo XIII. ging der
Bischof von Triest nicht aktiv gegen diese Praxis vor, doch sein Nachfolger
verlangte ab 1902 die unverzügliche Einhaltung römischer Vorschriften.
Dass die Gläubigen Ricmanjes sich dem Bischof massiv sowie aktiv wider-
setzten, zeigt für Techet den Willen, Religiosität unter eigenen Bedingun-
gen – d.h. in slowenischer Sprache – zu zelebrieren. Der gewaltsam ausge-
tragene »Kirchenstreit« in Ricmanje war damit ein wichtiger Schritt in der
Emanzipation lokaler Gemeinschaften.
In Sektion I-3 geht es um die ordnungsstiftenden Funktionen von Gewalt;
symbolische, verbale und physische Auseinandersetzungen dienten hier der
Markierung und Festigung religiös konnotierter innergesellschaftlicher
Grenzen. Diese Gewalt galt meist marginalisierten Gruppen. In ihrem Bei-
trag untersucht Sara Mehlmer die Zerstörung einer berberischen Moschee
im Grenzgebiet von Melilla, einer spanischen Exklave in Nordafrika, im Jahr
1863. Mit der Verwüstung des Gebäudes und Rodung der als heilig verehrten
Feigenbäume reagierte Spanien auf den Angriff von Einwohnern der ber-
berischen Siedlungen, deren Lebensgrundlage und religiöser Bezugsraum
von der Gebietserweiterung nach Spaniens Sieg über Marokko im Krieg von
1859–60 bedroht waren. Mehlmer zeigt, dass der Gegensatz von »katholi-
schen Spaniern« und »campo moro« über die interkulturellen und -religiösen
Kontakte im Grenzgebiet hinwegtäuscht. Dennoch: Als das »campo moro«
rebellierte, sicherte sich Spanien mit harter Hand die Hoheit über das Gebiet;
religiöse Verweise legitimierten den Ressourcenkonflikt und gaben ihm
zusätzliches Gewaltpotenzial. Dass religiöse Differenz ein wichtiges Mittel
zur Mobilisierung der Öffentlichkeit darstellen konnte, zeigt auch das Kapi-
tel von Tim Buchen. In Galizien kam es im 19. Jahrhundert gleich zweimal
zu kollektiven Gewalträuschen, bei denen religiöse Vorstellungen und kle-
rikale Akteure eine tragende Rolle spielten. Während die römisch-katholi-
schen Bauern und Landarbeiter im Falle des »Rabatz« von 1846 gegen ihren
sozialen Widerpart aufbegehrten, was u.a. zur Ermordung vieler Adliger,
aber auch Kleriker, welche die Abstinenzbewegung unterstützten, führte,
kam es 1898 zu massiven Übergriffen auf Juden, vor allem in Form der
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918