Seite - 103 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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103Katholischer
Pluralismus und die Gewalt der religioneros
Ansprache heikler Themen von der Kanzel »Vorsicht« walten zu lassen33.
Deutlicher wurde Rafael Sabas Camacho, sein Amtsbruder aus Querétaro,
der den Konflikt zu entschärfen versuchte, indem er sich bemühte, über
die Verwendung des Beinamens protestante für diejenigen, die den protesta
abgelegt hatten, Klarheit zu schaffen. In einem an die Gläubigen gerichteten
Schreiben, das von der liberalen Presse wohlwollend aufgenommen wurde,
unterschied Camacho die religiöse Ketzerei, welche der Protestantismus
darstellte, von der lediglich zivilen Ketzerei des protesta und erklärte, reuige
Katholiken könnten durch öffentlichen Widerruf des Eides in den Schoß der
Kirche zurückkehren. Sollte das Gewissen zivilen Ungehorsam gegenüber
den Reformgesetzen verlangen, sei es weiterhin Sache der Katholiken, allfäl-
lige Strafen demütig hinzunehmen, »statt Skandale und Ordnung heraufzu-
beschwören, welche die Religion verurteilt«34. Andere Hirtenbriefe riefen die
Gläubigen auf, sich ein Beispiel an der stoischen Duldsamkeit Papst Pius’
IX.
angesichts des italienischen Risorgimento zu nehmen und ließen anklingen,
das Gegenmittel zum weltweiten Vormarsch des Liberalismus sei nicht poli-
tische Agitation, sondern geistige Solidarität mit dem Papst35.
Auf Landesebene wurden diese Gedanken mit Nachdruck im Frühjahr
1875 geäußert, als die drei Erzbischöfe Mexikos (d.h. die Kirchenväter von
Mexiko, Michoacán und Guadalajara) einen gemeinsamen Hirtenbrief ver-
öffentlichten, der die katholischen Reaktionen auf die sich vertiefende Krise
maßgeblich bestimmen wollte. Der Brief hob zwar mit einer knappen Verur-
teilung der antiklerikalen Gesetze an, seine Leitthemen jedoch waren Ver-
söhnung und Kompromiss mit der säkularen Ordnung. Da sie fürchteten,
ein Schweigen im Angesicht des eskalierenden Konflikts mit den religioneros
könnte als Parteinahme für diese gewertet werden, erhoben die Prälaten die
Stimme, um »den Glauben des Volkes zu stärken«, aber auch »zu verhindern,
dass das religiöse Gefühl sie mitreißt und zu feindseligen Demonstrationen
33 Vigésima prima carta pastoral que el Ilmo. y Rmo. Sr.
Obispo de León, Dr. y Maestro.
D. José María de Jesús Diez de Sollano y Dávalos dirige a su Ilmo. y v. cabildo, señores
curas, y v. clero …, León 1879, S. 27–34.
34 Vgl. Ramón Camacho, Advertencia a todos los fieles de la Diócesis, 13. November
1873, in: Colección de cartas, edictos, e instrucciones pastorales del ilustrísimo señor
doctor D. Ramón Camacho y García, dignísimo segundo obispo de la santa iglesia
de Querétaro, precedida de apuntes biográficos sobre el mismo ilustrísimo señor,
Mexiko-Stadt 1886, S. 61–65. Zur Reaktion der liberalen Presse auf die Warnung
Camachos, El Progresista, 18. Dezember 1873.
35 Segunda carta pastoral que el Ilmo. Sr. Don José Ignacio Árciga, dignísimo Arzo-
bispo de Michoacán, dirige a todos sus diocesanos con motivo de las encyclicas expe-
didas por S. Santidad el Sr. Pio IX en 15 mayo y 4 de junio del presente año, Morelia
1871, S. 10; Pastoral número cinco del Obispo de Zamora, que con motivo del Vigé-
simo Quinto aniversario del pontificado de Nuestro Santísimo padre el Señor Pío IX,
dirige a su Venerable Cabildo, a todo el clero y demás fieles de su diócesis, Zamora
1873, S. 1f.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918