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122 Péter Techet
Einheit unter den Südslawen (klerikales Ziel), sowie die südslawische Natio-
nalisierung der lokalen Kirchengemeinden (nationalistisches Ziel) vorantrei-
ben sollen25.
Neben der altslawischen Liturgiesprache wurde Sprache generell immer
mehr als Abgrenzungsmerkmal im Alltagsleben wahrgenommen26. Auch
wenn »nationale Indifferenz«, etwa im Sinne von Desinteresse an nationa-
listischen Themen auf der lokalen Ebene, attestiert werden kann27, bedeutete
dies keinesfalls eine »sprachliche Indifferenz«28. Dass die Sprachenfrage im
Kirchenleben überhaupt problematisch werden (und problematisch gemacht
werden) konnte – wie es auch im Kirchenstreit in Ricmanje zu zeigen sein
wird –, beweist ihre Wichtigkeit im Sinne der »everyday ethnicity«29 für das
Selbstverständnis lokaler Akteure. Besonders in einem Dorf wie Ricmanje,
das an der sprachkulturellen Grenze zwischen den fast ausschließlich slo-
wenisch- und mehrsprachigen (aber italienisch dominierten) Räumen lag,
konnte sich die Sprachenfrage zu einer Identitätsfrage und somit zu einem
konfliktreichen Thema entwickeln.
Konfliktgeschichte:
Kirchenstreit in Ricmanje
In Ricmanje stand die Dorfgemeinschaft seit längerer Zeit im Konflikt mit
der örtlichen, ebenso slowenischsprachigen Pfarrei Dolina, welcher Ric-
manje, wie einige andere umliegende, kleinere Dörfer (Boljunec, Log), als
Filiale unterstellt war. Die Bewohner in Ricmanje forderten eine eigene Pfar-
25 Vgl. Rolf Wörsdörfer, »Slawischer« und »lateinischer« Katholizismus im Natio-
nalitätenkonflikt. Der Streit um die Liturgie- und Unterrichtssprache in den adri-
atischen Diözesen Österreich-Ungarns, Italiens und Jugoslawiens (1861–1941), in:
Archiv für Sozialgeschichte 40 (2000), S. 171–201, hier S. 186f.
26 Vgl. Peter Stachel, Ein Staat, der an einem Sprachfehler zugrunde ging. Die »Viel-
sprachigkeit« des Habsburgerreiches und ihre Auswirkungen, in: Johannes Feichtin-
ger / Peter Stachel (Hg.), Das Gewebe der Kultur. Kulturwissenschaftliche Analy-
sen zur Geschichte und Identität Österreichs in der Moderne, Innsbruck u.a. 2001,
S. 11–45, hier S. 20.
27 Zu einem solchen Verständnis, siehe auch Tara Zahra, Imagined Non-Communi-
ties. National Indifference as a Category of Analysis, in: Slavic Review 69 (2010), H.
1,
S. 93–119, hier S. 93f.
28 Vgl. Gerald Stourzh, The Ethnicizing of Politics and »National Indifference« in Late
Imperial Austria, in: Ders. (Hg.), Der Umfang der österreichischen Geschichte. Aus-
gewählte Studien 1990–2010, Wien u.a. 2011, S. 283–323, hier S. 303–305.
29 Zur »everyday ethnicity« als einer Modifizierung der These einer strikten »nationa-
len Indifferenz«, vgl. Gábor Egry, Beyond politics. National indifference as everyday
ethnicity, in: Maarten Van Ginderachter / Jon Fox (Hg.), National Indifference
and the History of Nationalism in Modern Europe, London u.a. 2019, S. 145–160,
hier S. 146–149.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918