Seite - 124 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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124 Péter Techet
erlaubte und gängige Liturgiepraxis waren. Weil die religiösen Angelegen-
heiten, auch wenn es sich nur um einen Rituswechsel handelte, ebenfalls zum
staatlichen Zuständigkeitsbereich gehörten, wurden mehrere Dorfbewohner
ob ihrer Motivationen von der Bezirkshauptmannschaft von Koper / Capo-
distria, der lokalen Regierungsbehörde der zentralen Macht, befragt. Ein
Dorfbewohner erklärte seinen Schritt mit dem sozialen Druck. Ein anderer
Bewohner fand den zu zahlenden Beitrag zu hoch und wollte deswegen aus
der römisch-katholischen Kirche – und somit aus der Pfarrei von Dolina –
austreten. Beide betonten aber, dass sie »katholisch« bleiben wollten35. Nur
ein einziger Befragter aus Log sagte aus, dass er übergetreten sei, weil ihm
versprochen wurde: »wir werden so slowenischen Gottesdient haben«36.
Die Dorfbewohner von Ricmanje ersuchten den griechisch-katholischen
Bischof in Križevci, Julij Drohobeczky, bereits im Mai 1900 – also noch vor
der offiziellen Ankündigung des Übertrittes beim Bistum Triest – mit der
Bitte, die Kirchengemeinde zu übernehmen37. Bischof Drohobeczky akzep-
tierte nach kurzem Zögern den Übertritt der Dorfgemeinschaft, weil er
befürchtete, dass die Einwohner von Ricmanje sonst die katholische Kirche
ganz verlassen und in die serbische Orthodoxie übertreten würden38. In
Triest liebäugelten nämlich slowenische Nationalisten, denen die katholi-
sche Kirche nicht national genug war, mit einem Übertritt in die Orthodo-
xie39. Ein slowenischsprachiger Agitator der Orthodoxisierung, der aus der
Stadt Triest schon zuvor ausgewiesen worden war, wurde tatsächlich auch
in Ricmanje gesichtet40. Insofern – und besonders angesichts der späteren
Ereignisse in Ricmanje
– waren die Befürchtungen von Bischof Drohobeczky
keinesfalls unbegründet. Der Heilige Stuhl stimmte dem Übertritt der Dorf-
gemeinde in den griechischen (unierten) Katholizismus dennoch nicht zu41.
35 Protokolle über die Aussagen von Ivan Valentič und Petar Hrvatič (10. September
1900), in: ADT, GO, 1900 / 2385.
36 Protokolle über die Aussagen von Ivan Žuljan und Andrej Kuret (14. September
1900), in: ADT, GO, 1900 / 2385.
37 Brief von Bischof Drohobeczky an das österreichische Kultusministerium (29. De-
zember 1900), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265, fasc. 4.1.5, 1900 / 3427.
38 Ebd.
39 Zu einigen slowenischsprachigen Familien in Triest, die wegen der italienischspra-
chigen Predigten in ihren katholischen Kirchen in die Orthodoxie übertreten wür-
den, Bericht der Triestiner Statthalterei (25.
November 1893), in: AST, Luogotenenza,
AP, b. 161, fasc. 4.1.5, 1893 / 2047; sowie Bericht der Statthalterei (20. April 1894), in:
AST, Luogotenenza, AP, b. 169, fasc. 4.1.5, 1894 / 165.
40 Brief des Landes-Gendarmerie-Commandos von Boljunec an die Bezirkshaupt-
mannschaft von Koper / Capodistria (6.
Mai 1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 137,
fasc. 4.1.5, 1901 / 1001.
41 Das österreichische Kultusministerium übermittelt der Triestiner Statthalterei die
päpstliche Entscheidung (18. Februar 1901), in: AST, Luogotenenza, AP, b. 265,
fasc. 4.1.5, 1901 / 393.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918