Seite - 134 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Bild der Seite - 134 -
Text der Seite - 134 -
134 Péter Techet
dass die »Hl. Kyrill und Method mit solchen ›Unierten‹ [Griechisch-Katholi-
ken] kaum zufrieden wären«92. Das Blatt warf den slowenischen nationalis-
tischen Kreisen in Triest vor, Lügen im Dorf zu verbreiten, wo die Bewohner
deswegen jetzt »ohne Priester, ohne Taufe, ohne Gesetz, ohne den letzten
Trost als völlig heidnische Gemeinde« leben würden93. Und die christlich-
soziale Slowenische Volkspartei nannte die Vorfälle eine »Schande des gan-
zen slowenischen Volkes«94.
Der gesellschaftliche Ausnahmezustand in Ricmanje, der sich etwa in
der entschlossenen und radikalen Ablehnung der kirchlichen Obrigkeit und
in den aufgelockerten Lebensumständen (hohe Zahl unehelicher Kinder,
Zusammenleben ohne Heirat usw.) manifestierte, stimmte auch die Dörfer
in der Gegend um. Anscheinend ging die Radikalisierung in Ricmanje für
die umliegenden, ebenso slowenischsprachigen Dorfgemeinschaften zu weit.
Die Bewohner in Ricmanje bekamen die Isolation immer mehr zu spüren,
wie die Statthalterei in Triest 1908 berichtete:
Wie ich aus verlässlicher Quelle erfahre […], ist die Bevölkerung Rizmanje’ s darüber
besorgt, dass der Ort infolge der Ungebundenheit der jeden sittlichen Einflusses ent-
zogenen Jugend immer mehr gemieden wird; dass daher die öffentlichen Lokale sich
keines Zuspruches mehr erfreuen; dass mit den als konfessionslos zu betrachtenden
Jünglingen und Mädchen des Ortes Niemand aus der Umgebung mehr eine Ehe ein-
gehen will, u. dgl. m.95.
Deswegen wurde letztendlich nach 1909 ein Kompromiss zwischen Ric-
manje und dem Bistum in Triest mit der Hilfe des istrianischen Reichs-
ratsabgeordneten Matija Laginja angestrebt: Die Dorfgemeinschaft wurde
infolgedessen zur Pfarrei erhoben96. Das Verbot der altslawischen Liturgie
blieb zwar geltend, aber der neue Bischof von Triest, Andrej Karlin (Nagl
wechselte inzwischen nach Wien97) duldete de facto die Verwendung der slo-
wenischen Volkssprache98. 1910 fand sogar ein großes Kirchenfest im Dorf
statt, dem auch der Görzer Erzbischof Frančišek Borgia Sedej beiwohnte: Als
92 Slovenec, 27. März 1903.
93 Ebd., 23. September 1907.
94 Ebd., 27. September 1907.
95 Brief des Triestiner Statthalters (4. Oktober 1908), in: ÖStA, Allgemeines Verwal-
tungsarchiv (weiter: AVA), Unterricht und Kultus: Katholischer Kultus (weiter: KK),
455: Pfarren im Küstenland: R (weiter: 455, R), 455.3 Signatur: 42: Ri – Rizmanje
(weiter: 455.3, 42: Ri).
96 Brief des Triestiner Statthalters an das Bistum von Triest (9. November 1909), in:
ADT, GP, 1908 / 54.
97 Mitteilung des österreichischen Kultusministers an die Triestiner Statthalterei
(3.
Januar 1910), in: AST, Luogotenenza, Atti Presidiali riservati (Reservierte Präsidi-
alakten; weiter: AP ris.), b. 6, fasc. 34, 1910 / 6.
98 Brief von Dr. Laginja an den Bischof von Triest (23.
Juli 1908), in: ADT, GP, 1908 / 54.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918