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167Kollektive
Gewalt und die religiöse Politisierung von Bauern
Galizisches Schlachten oder »Rabatz«?
Bäuerliche Gewaltexzesse im Winter 1846
Im Jahr 1846 wurde abermals in der Emigration ein Aufstand vorbereitet.
Diesmal allerdings misslang die Mobilisierung der Bauern für die polnische
Sache vollständig. Wie die übrigen Revolten und Revolutionen der Jahre
1846–1849 in Europa zeigen sollten, waren die Monarchien aufgrund fehlen
der Ordnungskräfte nicht in der Lage, ihre staatliche Kontrolle bei sozialen
Unruhen auf dem Land durchzusetzen12. Daher ermunterten österreichische
Beamte in Galizien kaisertreue Bauern, diesen erneuten nationalen Aufstand
zu unterbinden, seine Unterstützer festzusetzen und ihre Waffen sicherzu
stellen. Da sich die Position der Bauern seit den josephinischen Reformen
etwas verbessert hatte und sie mit einer polnischen Herrschaft eine Ver
schlechterung ihrer rechtlichen und ökonomischen Lage in den Zustand vor
den Teilungen befürchteten, kamen sie dem Aufruf zur Unterdrückung des
Aufstands vielerorts nach13. Für geleistete Fuhrdienste sichergestellter Waf
fen und festgenommener Aufständischer zahlte beispielsweise der Bezirks
hauptmann aus Tarnów Joseph Breinl eine Entschädigung. Diese wurde von
Bauern als eine Kopfprämie umgedeutet und motivierte unzählige Bauern,
Jagd auf Adlige zu machen. Zusätzlich ermächtigten sich Bauern durch das
Weitererzählen von Gerüchten, wonach der Kaiser »seinen« Bauern in amt
lichen Zirkularen es erlaubt habe, drei Tage lang Gutshöfe zu plündern und
Adlige zu ermorden14. Schnell entwickelten die Interventionen der Bauern
zur Unterbindung des Aufstands eine Eigendynamik und es kam zu einer
gigantischen bäuerlichen Selbstermächtigung.
Persönliche Abrechnungen mit verhassten Verwaltern und Gutsherren,
das Aneignen von fremdem Besitz und der Konsum von erbeutetem Alkohol
verbanden sich mit der Zerstörung von Zeichen und Symbolen ihrer pat
riarchalischen Abhängigkeit. »Rabatz« war die verharmlosende bäuerliche
Bezeichnung eines sich über Gerüchte und die Berichte Flüchtender ausbrei
tenden Gewaltrausches mitten in der Fastenzeit, einem blutigen Karneval,
in dem etablierte lokale Hierarchien und Ordnungen auf den Kopf gestellt
wurden15. Zwischen 1 200 und 2 000 Menschen wurden ermordet, häufig auf
brutale Weise geradezu abgeschlachtet. Die Autorität von Kaiser und Papst
hingegen wurde von vielen Rädelsführern explizit bestätigt und als Legiti
12 Siehe auch Hartmut Pogge von Strandmann / Robert John Weston Evans, The
Revolutions in Europe, 1848–1849. From Reform to Reaction, Oxford 2000.
13 Siehe auch Roman Rozdolski, Untertan und Staat in Galizien. Die Reformen unter
Maria Theresia und Joseph II., Mainz 1992.
14 Vgl. Buchen, Antisemitismus in Galizien, S. 28.
15 »Rabacja« war die polnische Ableitung vom deutschen Begriff »Rabatz«. Vgl. Andrzej
Chwalba, Historia Polski, 1795–1918, Krakau 2007, S. 302.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918