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Bahnfrevel von Trillick
Freeman’ s Journal und der Weekly Telegraph an, beides Blätter, die um die
Gunst der katholischen Mittelschicht Irlands warben und weder mit Den-
nis Hollands schonungsloser Haltung gegenüber dem Großgrundbesitz noch
seiner humanitären Betroffenheit ob der Armut der Beschuldigten überein-
stimmten. Hingegen berichteten sowohl The Nation, eine nationalistische
Zeitung, die sich einem konfessionsübergreifenden Politikverständnis ver-
schrieben hatte, als auch die liberale Presse des Nordens entweder nur in
groben Zügen von den Vorgängen oder ließen die Sache nach einer anfäng-
lichen Flut von Artikeln gegen den Oranismus, seine adligen Rädelsführer
und seine rabiate Presse auf sich beruhen. Weder der Belfast Mercury noch
der Northern Whig berichteten ausführlich über das Assisengericht im Juli
1855, das die Beschuldigten unter dem Jubel der Katholiken Omaghs frei-
ließ. In diesem Schweigen spiegelt sich wider, wie ungefestigt das Bündnis
tatsächlich war, das den Liberalismus in Ulster trug: Eine Partei, deren Füh-
rungspersönlichkeiten traditionell Kaufleute aus dem Norden, presbyteria-
nische Geistliche und mächtige Landwirte gewesen waren, stützte sich nun
auf eine Wählerschaft zunehmend politisierter Katholiken. Diese Spannung
sollte in den folgenden Jahrzehnten weiter zunehmen55.
So bedeutend diese Unterschiede auch waren, so fällt dennoch die Ein-
mütigkeit der Antipathie seitens dieser Meinungsführer auf, die sich gegen
das extremistische Oraniertum richtete. Zwar brachten sich Liberale aus
dem Norden und irische Katholiken auf unterschiedliche Weise gegen ihre
Kontrahenten in Stellung, doch das schrille ultraprotestantische Narrativ,
das um die Vorgänge von Trillick gesponnen wurde, erlaubte beiden, scharfe
Kontraste zwischen Vernunft und Unvernunft, Fortschritt und Reak-
tion, Religion und Fanatismus zu ziehen. Ähnliche Dynamiken lassen sich
anhand anderer religiöser Konfliktfälle der 1850er Jahre nachweisen, etwa
um aggressiv auftretende evangelikale Freiluftprediger oder die konfessio-
nellen Unruhen in Belfast von 1857. In beiden Fällen bezogen Liberale und
Nationalisten gleichermaßen Stellung gegen parteiische Auswüchse. Wie im
Falle Trillick waren diese Bemühungen kurzfristig erfolgreich: Regierungs-
beamte kritisierten sowohl den Oranierorden als auch die Evangelikalen des
Nordens ihres unverantwortlichen Verhaltens und ihrer Unversöhnlich-
keit halber.
Dieser Beitrag hat aufgezeigt, wie konfessionelle Deutungsmuster und
die damit einhergehende Rhetorik viktorianische Stellungnahmen zum
Bahnfrevel von Trillick über die Lager hinweg bestimmt und alternative
Lesarten sowohl des Unglücks als auch der gesellschaftlichen Lage in Uls-
ter insgesamt verdrängt haben. Es ist deutlich geworden, dass die Semantik
55 Siehe auch Gerald Hall, Ulster Liberalism, 1776–1876. The Middle Path, Dublin
2011; Walker, Ulster Politics.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918