Seite - 259 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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259Missionare
als Opfer muslimischer Gewalt?
Den Missionen wuchs bei dieser »Humanisierung« und »Sakralisierung«
der imperialen Politik eine Schlüsselrolle zu. 1884 noch weitgehend mar-
ginalisiert, initiierte der Heilige Stuhl 1888 eine diplomatische Offensive.
Papst Leo XIII. hatte sich im Frühjahr 1888 auf Anregung Lavigeries in der
Enzyklika In Plurimis positioniert67. Er beschrieb die Sklaverei in Afrika
als »unmenschliche Grausamkeit«, verübt durch die »Mohammedaner«, die
Afrikaner zwängen die »Lehre Mohammeds anzunehmen«. Christliche Mis-
sionare seien dagegen »würdige Diener des Heiles, Spender des Trostes, Boten
des Friedens
[…], welche die Einöden, wüste und wilde Gegenden mit Gottes
Hilfe umzuwandeln vermögen in lieblich blühende Stätten der Religion und
Gesittung«68. In seinen Reden in Paris, London und Brüssel forderte Lavige-
rie die Regierungen der Großmächte in scharfen Worten auf, ihrer zivilisa-
torischen Verantwortung als »christliche Staaten« nachzukommen und das
Überleben und die Unversehrtheit der Kolonisierten zu gewährleisten:
Es ist wahr, daß die europäischen Staaten an Africa denken, aber anscheinend bis-
her nur soweit, als sie vorhaben, sich seiner zu bemächtigen. Sich zu einem Congresse
vereinigen, um durch einen Federstrich auf der Karte sich neue Reiche zuzusprechen,
ist leicht gethan. Aber die christlichen Staaten können nicht vergessen, daß sie neben
Rechten auch Pflichten übernommen haben […] [nämlich] die Eingeborenen nicht
hülflos umkommen zu lassen […] [und] nicht von Neuem jene Gebiete verschließen
lassen, welche durch die Forscher der Civilisation geöffnet sind69.
Lavigerie wie seine deutschen Überträger und der Freiburger Katholikentag
1888, der sich kollektiv der Antisklaverei-Bewegung anschloss, appellier-
ten zugleich an die christliche Verantwortung vor Gott und der Geschichte,
an die historische Pflicht zivilisierter Nationen und an die Modernität des
19.
Jahrhunderts. In Freiburg gründete sich 1888 der »Afrikaverein deutscher
Katholiken«, der den Antisklaverei-Kampf durch Spendenwerbung und
Publikationen popularisierte. Ludwig Windthorst, führender Kopf des Zen-
trums, setzte Ende des gleichen Jahres eine Resolution des Reichtags durch,
die anbot, die Regierung bei Maßnahmen gegen den Sklavenhandel zu unter-
stützen70. Windthorst selbst war zunächst kein Verfechter der Kolonialmis-
67 Vgl. Renault, Cardinal Lavigerie, S. 368.
68 Leo XIII., Sendschreiben an die Bischöfe Brasiliens (Ueber die Aufhebung der Skla-
verei), Freiburg 1889, S. 32–36. Hervorhebung durch den Autor.
69 Lavigerie in London, in: Humanus, Der Sclavenhandel in Africa und seine Greuel
beleuchtet nach Vorträgen des Cardinal Lavigerie und Berichten von Forschern und
Missionaren, Münster 1888, S. 17. Hervorhebung durch den Autor.
70 Aktenstück Nr. 27 (Antrag Ludwig Windthorst), in: Verhandlungen des Deutschen
Reichstags, Bd. 4 (Anlagen), 1888 / 89, URL: <https://www.reichstagsprotokolle.de/
Blatt3_k7_bsb00018657_00212.html> (14.12.18) S. 182. »Meine Herren, es versteht
sich […], dass an eine christliche Zivilisation Afrikas nicht gedacht werden kann, so
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918