Seite - 328 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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328 Michael Snape
Es heißt, die Obrigkeit sei empört, denn sie [die Soldaten] seien doch da, um Krieg
zu führen. […] Gewiss ist dieser Krieg ein Kampf zwischen einer guten Sache und
einer schlechten Sache; nur eine Seite ist im Recht, doch die Krieger auf beiden Seiten
glauben, es sei die ihre. Sie können einander auf dieser Grundlage wertschätzen. […]
Also ergriffen diese armen Kämpfer, die ein grausames Schicksal dazu berufen hatte,
einander zu vernichten, begeistert eine Gelegenheit, ihren künstlichen militärischen
Charakter abzustreifen und sich selbst schlicht und unverstellt zu zeigen. Ihnen
gebührt alle Ehre, wenngleich sie fraglos vor das Kriegsgericht gehören71.
Der berühmten Schilderung kämpferischer katholischer Seelsorger zum
Trotz, die Robert Graves in sein durch und durch unehrlichen Memoiren-
werk Good-bye to All That (1929) gegeben hat72, gibt es reichlich Belege, dass
es den in die scholastische Tradition vertieften Patern oftmals sehr um die
Einhaltung der Regeln des gerechten Krieges zu tun war. Dementsprechend
ging es in der Gewissenprüfung, die Casgrain in das Catholic Soldiers’ and
Sailors’ Prayer-Book aufnahm, nicht nur um Respekt und Gehorsam gegen-
über den Offizieren, sondern die Soldaten sollten sich auch fragen, ob sie
»im Krieg jemanden außerhalb des gerechten Kampfes verletzt oder getötet«
hatten73. Im Rückblick auf seine Zeit an der Westfront zeigte sich Pater Bene-
dict Williamson aufrichtig stolz, dass er »nie ein Wort des Hasses vonseiten
unserer Jungs gehört« habe74. Er pries auch das Beispiel des Leutnants Joseph
Flanagan vom 20. Londoner Regiment, gefallen am 22. August 1918: »Er
führte seine Männer in eine deutsche Stellung und hatte gerade ausgerufen:
›Tötet sie nicht! Nehmt sie gefangen!‹, als er tödlich verletzt fiel, von einem
Granatsplitter in der Lunge getroffen. […] Noch in den Mühen des Kampfes
galt sein erster Gedanke, Leben zu retten und zu schonen«75.
Auch in manchen Strömungen der Frömmigkeit zeigte sich die Stimmung
des soldatischen Katholizismus. Während die Verehrung der Jungfrau Maria
sich ungebrochener Beliebtheit erfreute, hatte wohl keine Fürsprecherin
während des Krieges eine Konjunktur unter katholischen britischen Solda-
ten, die mit jener der Thérèse von Lisieux (1873–1897) vergleichbar gewesen
wäre – der »kleinen Blume«, deren Heiligsprechungsverfahren nur wenige
Wochen vor Kriegsausbruch begonnen hatte. Dass Leiden und Schriften
einer Karmeliterin, die 20 Jahre zuvor an Tuberkulose gestorben war, katho-
lischen Soldaten nicht nur von den britischen Inseln, sondern auch anderer
alliierter Länder, Trost und Anregung gespendet haben sollten, mag zunächst
verwundern. In vielerlei Hinsicht unterstreicht jedoch ihre Anziehungskraft
71 The Month, Februar 1915, S. 196f.
72 Robert Graves, Good-bye to All That, London 1929, S. 242f.
73 Casgrain, Catholic Soldiers, S. 14.
74 Benedict Williamson, »Happy Days« in France and Flanders, London 1921, S. 190.
75 Ebd., S. 147.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918