Seite - 332 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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332 Michael Snape
Der erzwungene lange Aufenthalt des britischen Heeres auf französischem
und belgischem Boden verstärkte zusätzlich die Wahrnehmung und Anzie-
hungskraft katholischer Macht und Stärke, sowohl innerhalb des Militärs als
auch in der breiteren Öffentlichkeit. Hier zeigte sich ein Glaube, an dem die
niederschmetternde Wirkung, die der Krieg auf den Optimismus der libe-
ralen Theologie ausgeübt hatte, spurlos vorbeiging88. Stattdessen schien der
Katholizismus bewehrt mit einer Sakraments- und Bußtheologie, die den in
Lebensgefahr befindlichen Sinn und Gewissheit zu geben vermochte. Selbst
Nichtkatholiken waren beeindruckt, wie sich der Katholizismus im Geistigen
wie auch im Materiellen inmitten von Gewalt und Zerstörung zu behaupten
schien. Zwar lässt sich die Zahl so wenig verifizieren wie vor oder außerhalb
des Krieges liegende Faktoren sich entwirren lassen, doch katholische Quel-
len sprachen von Konversionen unter Soldaten, die sich auf Zehntausende
beliefen89. An prominenten Fällen fehlte es durchaus nicht. So konvertierte
1915 etwa Leutnant Edward Rawle Hicks von den »1st Munster Fusiliers«. Er
war der jüngste Sohn des anglikanischen Bischofs von Lincoln und zeigte
sich inmitten des Blutbads der Schlacht von Gallipoli zutiefst beeindruckt
von »der Frömmigkeit der irischen Truppen, unter denen er kämpfte«90.
Allerdings gab nichts so viel Anlass zu einem Gefühl der Stärke von
Glaube und Kultur des Katholizismus wie die augenfällige Erhaltung reli-
giöser Denkmäler – in der Regel Kruzifixe am Straßenrand – inmitten der
aufgewühlten, geradezu apokalyptischen Landschaft der Westfront91. Am
berühmtesten und sichtbarsten war die »goldene« oder »schiefe« Jungfrau
von Albert, einer Gemeinde im französischen Departement Somme, die
den Krieg hindurch an der Kuppel der zerschossenen Basilika hängenblieb.
Doch waren solche Vorkommnisse häufiger. So schrieb Rowland Feilding,
ein schon vor dem Krieg konvertierter Offizier in den »Coldstream Guards«,
im Juli 1915 über eine Kirchenruine in Vermelles:
[H]eil geblieben, oder jedenfalls beinahe, ist nur eins: Eine liegende Statue unseres
Herrn, die unterhalb des Hochaltars liegt. Obwohl eine Granate den Altar darüber
mittig durchbohrte, ist die Figur selbst, abgesehen von einem winzigen Stück, das am
Bart abgeplatzt ist, unversehrt geblieben. Selbst die Finger sind makellos92.
88 Vgl. Douglas John Hall, »The Great War« and the Theologians, in: Gregory Baum
(Hg.), The Twentieth Century. A Theological Overview, Maryknoll 1999, hier S.
3–13.
89 George Stebbing, The Position and Prospects of the Catholic Church in English-
Speaking Lands, Edinburgh 1930, S. 249f.
90 The Harvest, Februar 1916, S. 38; vgl. G. R. Evans, Edward Hicks. Pacifist Bishop at
War, Oxford 2014, S. 207f.
91 Vgl. Nicholas J. Saunders, Crucifix, Calvary and Cross Materiality and Spirituality
in Great War Landscapes, in: World Archaeology 35 (2003), H. 1, S. 7–21, S. 11–13.
92 Rowland Feilding, War Letters to a Wife, London 1929, S. 25f.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918