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Wahl des Untersuchungsgegenstandes
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Dies äußerte sich in einer verminderten Wahrnehmung eigenständiger,
gleichgeschlechtlicher Sexualität unter Frauen.30 So nahm der Staats-
anwaltssubstitut Eduard Senft noch Mitte des 19. Jahrhunderts an, dass
die » unzüchtigen Umarmungen zwischen Weib und Weib « nur einen
» höchst unvollkommene[ n ] Genuß « gewähren, » wenn derlei Fälle
[ überhaupt ] zur Gerichtskenntniß kämen « 31, müssten sie jedoch un-
ter den Straftatbestand des § 129 I b StG 1852 subsumiert werden. Auch
der Grazer Psychiater Richard von Krafft-Ebing, dessen » Psychopathia
sexualis « wesentlichen Einfluss auf die Rechtsprechung erlangen sollte,
konstatierte:
» daß das Weib die konträre Sexualempfindung nicht so geniert
wie den Mann, weil sie jenes physisch nicht beischlafunfähig
macht; weil das Weib an und für sich und jedenfalls auch das
konträrsexuale nicht so sinnlich und aggressiv in der Erreichung
des Geschlechtsbedürfnisses ist, wie der Mann, so daß der kont-
rär-sexuale Verkehr unter Weibern nicht so auffällig ist und vom
Laien als bloße Freundschaft gedeutet wird. « 32
30 Vgl auch Puff Helmut, Männergeschichten / Frauengeschichten. Über den Nutzen
einer Geschichte der Homosexualitäten, in Medick Hans / Trepp Anne-Charlott ( hg ),
Geschlechtergeschichte und Allgemeine Geschichte. Herausforderungen und Per-
spektiven ( 1998 ) 127 ( 137 ). Puff führt das geringere Interesse der Obrigkeit an nicht-
konformem Rollenverhalten von Frauen auf deren eingeschränkten Zugang zum
öffentlichen Raum zurück. Zu Unterschieden bei der sozialen Kontrolle und Verfol-
gung gleichgeschlechtlicher männlicher und weiblicher Unzucht siehe Kapitel VI.
31 Senft Eduard, Bemerkungen über das Verbrechen der widernatürlichen Unzucht,
Österreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissenschaft 1866, 195
( 211 ).
32 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia sexualis mit besonderer Berücksichtigung
der conträren Sexualempfindung 12 ( 1903 ) 279. Die » Psychopathia sexualis « erschien
erstmals 1886. Zu Krafft-Ebings Lebzeiten wurden elf » verbesserte und theilweise
vermehrte « Auflagen veröffentlicht, bei der zwölften Auflage handelt es sich um
die letzte noch von Krafft-Ebing überarbeitete Ausgabe. Sie erschien ein Jahr nach
seinem Tod. Zu Krafft-Ebings Einschätzung der konträren Sexualempfindung ins-
besondere bei Frauen vgl auch Eder Franz X., Degeneration, Konstitution oder
Erwerbung ? Die Konstruktion der Homosexualität bei Richard von Krafft-Ebing
und Sigmund Freud, in Förster Wolfgang / Natter Tobias G. / Rieder Ines ( hg ), Blick
155 ( 159 ); Knaus Kordula, Mere Mates or Mainly Monsters: Homoeroticism and Ho-
mosexuality in Operas Around 1900, in Bartsch Cornelia / Grotjahn Rebecca / Unseld
Melanie ( hg ), Felsensprengerin, Brückenbauerin, Wegbereiterin. Die Komponistin
Ethel Smyth ( 2010 ) 175 ( 186 ff ). Die Ineinssetzung von weiblicher Sexualität und
Freundschaft sollte Ende des 20. Jahrhunderts erneut eine Rolle spielen, als die
Erläuterungen zum Strafrechtsänderungsgesetz 1971 ( StRÄG 1971 – BGBl 1971 / 273 )
die Beschränkung der Strafbarkeit gleichgeschlechtlicher Akte mit Jugendlichen
auf Männer damit begründete, dass zwischen Frauen » die Tathandlungen in der
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik