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Das Strafgesetz 1803
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
tisierten lediglich dessen Einreihung unter die Verbrechen.153 Größere
Aufmerksamtkeit erfuhr die Frage, ob § 113 StG 1803 auch die Selbstbe-
fleckung erfasse, was die Lehre unter Berufung auf mehrere diesbezüg-
liche Justiz-Hofdekrete ablehnte.154 Nur Senft erachtete in seiner 1866
erschienenen Abhandlung über das Verbrechen der widernatürlichen
Unzucht wenigstens die öffentliche oder in Gemeinschaft betriebene
Selbstbefleckung für tatbestandsmäßig: Zu verlangen sei nicht etwa ir-
gendeine Art fleischlicher Vermischung, es gehe vielmehr um die » Sinn-
lichkeit überhaupt, und alles dessen, was der verderbten Sinnlichkeit
gemäß, aus solcher herrührend ist, und diese verrathet. « 155 Senfts Ausle-
gung nahm eine Entwicklung vorweg, die der Oberste Gerichtshof erst
um 1900 unter dem Eindruck sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse
über die » konträre Sexualempfindung « vollziehen sollte. Vorerst engte
die Strafpraxis den Tatbestand der Unzucht gegen die Natur auf die Pä-
derastie 156 ein, soweit diese dem Beischlaf äußerlich ähnelte. Andere se-
xuelle Handlungen, wie gegenseitige Onanie, Coitus inter femora oder
Oralverkehr, blieben dagegen straffrei. Kam es zu einer Verurteilung,
orientierten sich die Gerichte für gewöhnlich an der unteren Grenze
des Strafmaßes.157
Entsprechend der juristischen Auslegung galt das Interesse der Ge-
richtsmedizin bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts vornehmlich der Dia-
gnostik des Aktes, der Unterscheidung in » aktiven « und » passiven « Part
und der Suche nach entsprechenden Spuren am Körper der jeweiligen
153 Vgl Egger Franz von, Kurze Erklärung des Österreichischen Gesetzbuches über Ver-
brechen und schwere Polizey-Uebertretungen I ( 1816 ) 137.
154 Vgl Pratobevera Carl Joseph, Materialien für Gesetzkunde und Rechtspflege in den
österreichischen Erbstaaten VIII ( 1824 ) 432; Waser Joseph E., Strafgesetz über Ver-
brechen sammt den dazugehörigen Verordnungen ( 1839 ) zu § 113; Maucher Ignaz,
Sistematisches Handbuch des österreichischen Strafgesetzes über Verbrechen
und der auf dasselbe sich unmittelbar beziehenden Gesetze und Verordnungen I
( 1844 ) 405 a; Indermauer Carl von, Handbuch des österreichischen Straf-Rechts Heft
II ( 1850 ) 7 sowie Justiz-Hofdekret vom 14. August 1824, JGS 2035; Justiz-Hofdecret
vom 26. Juni 1844, JGS 816 ( darauf Bezug nehmend E vom 28. Dezember 1883, KH
608 ).
155 Senft Eduard, Österreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissen-
schaften 1866, 212.
156 Der Ausdruck » Päderastie « bezeichnete ursprünglich in Anlehnung an die griechi-
sche » Knabenliebe « eine sexuelle Beziehung zwischen einem älteren und jünge-
ren Mann. Die Gerichtsmedizin in der Mitte des 19. Jahrhunderts verwendete den
Ausdruck allerdings synonym für analen Geschlechtsverkehr zwischen Männern,
vgl Lücke Martin, Männlichkeit 57.
157 Vgl dazu die Nachweise bei Hartl Friedrich, Kriminalgericht 355 ff.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik