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Das Strafgesetz 1852
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Wilhelm Theodor Frühwald vertrat die Ansicht, das Opfer einer Schän-
dung im Zustand der Wehr- oder Bewusstlosigkeit könne ausschließ-
lich eine » Frauensperson « sein. Darüber hinaus dürfe die missbrauchte
Person in keiner der Deliktsvarianten dasselbe Geschlecht haben wie
der Täter oder die Täterin.197 Diese einschränkende Lesart hinsichtlich
der zweiten Deliktsvariante stellte allerdings eine Mindermeinung dar.
So nahm Eduard Herbst zwar gleichfalls an, dass der Täter oder die Täte-
rin und die missbrauchte Person verschiedenen Geschlechts sein müs-
sen, ging aber darüber hinaus davon aus, dass das Opfer auch in der
zweiten Deliktsvariante weiblichen oder männlichen Geschlechts sein
könne. Dies ergäbe sich aus dem Vergleich des § 128 StG 1852 mit den
§§ 125, 127 StG 1852, die ausdrücklich von » Frauensperson « sprachen.198
Karl Janka, Heinrich Lammasch und Otto Friedmann nahmen zur Frage
der Geschlechtsverschiedenheit zunächst keine Stellung.199 Bereits ab
der zweiten Auflage seines Grundrisses des Strafrechts wies Lammasch
jedoch darauf hin, dass als Opfer nur eine Person des anderen Ge-
schlechts in Betracht käme, wenn der geschlechtliche Missbrauch im
Übrigen den Tatbestand des § 129 I b StG 1852 erfülle. In allen sonstigen
Fällen könne auch bei Geschlechtsgleichheit von Täter oder Täterin und
Opfer Schändung vorliegen.200
Verschiedengeschlechtlichkeit zwischen Täter beziehungsweise Tä-
terin und Opfer setzte ursprünglich August Finger voraus. Er sah den Tat-
bestand durch jede Art geschlechtlichen Missbrauchs mit Ausnahme
des Beischlafs erfüllt, soweit das Opfer zur Befriedigung der Lüste in
irgendeiner Weise benutzt worden war.201 Das Erfordernis der Verschie-
dengeschlechtlichkeit gab Finger allerdings in der zweiten Auflage sei-
ner Darstellung des Strafrechtes auf.202 Ludwig Altmann vertrat zunächst
197 Vgl Frühwald Wilhelm Theodor, Handbuch des österreichischen Strafrechtes. Erster
Theil: Das Strafgesetz, die Pressordnung und die Gesetze über die anderen von den
Gerichten zu strafenden Gesetzesübertretungen ( 1855 ) 141.
198 Vgl Herbst Eduard, Handbuch des allgemeinen österreichischen Strafrechtes. Mit
Rücksicht auf die Bedürfnisse des Studiums und der Anwendung. Erster Band: Von
den Verbrechen ( 1855 ) 241.
199 Vgl Janka Karl, Das österreichische Strafrecht ( 1884 ) 324 sowie auch die 3. Auflage
( 1894 ) 304; Lammasch Heinrich, Grundriß des Strafrechts ( 1899 ) 77; Friedmann Otto,
Das österreichische Strafgesetz: mit Berücksichtigung der strafrechtlichen Neben-
gesetze; systematische Darstellung ( 1905 ) 1115.
200 Vgl Lammasch Heinrich, Grundriß des Strafrechts 2 ( 1902 ) 91.
201 Vgl Finger August, Das Strafrecht: systematisch dargestellt. II ( 1895 ) 347.
202 Vgl Finger August, Das Strafrecht: systematisch dargestellt. II 2 ( 1910 ) 752.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik