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Das Strafgesetz 1852
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
tigen Handlungen verleitet hatte. Seine Entscheidung begründete der
Gerichtshof damit, dass sich der Angeklagte
» blos [ sic ! ] der Onanie schuldig gemacht [ hat ]. Diese aber ist
schon mit den Hofdecreten vom 14. August 1824 und 8. Juli 1831
aus der Kategorie der Delicte ausgeschlossen worden und ist
auch in dem gegenwärtigen geltenden Strafgesetze nicht als Ver-
brechen bezeichnet. [ … ] Ebensowenig aber ist die vorliegende
Art der Unzucht mit der vollständigen Sodomie, mit den im § 129
des St.G.B. berührten Brutalitäten zu verwechseln. « 226
Das Erstgericht hatte den Angeklagten zuvor in der vom Oberlandesge-
richt aufgehobenen Entscheidung wegen Schändung gem § 128 StG 1852
verurteilt. Auch diesen Tatbestand sah der Oberste Gerichtshof aber
nicht verwirklicht, da der geschlechtliche Missbrauch nicht an der Per-
son des Missbrauchten verübt worden war. Lediglich die Voraussetzun-
gen des § 516 StG ( Gröbliches und öffentliches Ärgernis verursachende
Verletzung der Sittlichkeit oder Schamhaftigkeit ) seien erfüllt.
Ein Jahr später hob das Oberlandesgericht Innsbruck ein erstinstanz-
liches Urteil auf, mit dem zwei Männer wegen gleichgeschlechtlicher
Unzucht verurteilt worden waren. Die Tathandlung hatte darin bestan-
den, dass der eine von hinten sein eregiertes Glied bis zum Samener-
guss an den entblößten Hüften und dem After des anderen gerieben
hatte. Zur Begründung der Urteilsaufhebung führte das Oberlandesge-
richt an, dass » der Ausdruck › Unzucht ‹ als unerlaubter Geschlechtsact
eine › innerliche Vereinigung ‹ ( coitum internum ) voraussetze, und sich
auf die Onanie nicht beziehe « 227. Der Oberste Gerichtshof schloss sich
jedoch dem Erstgericht an: Die Tathandlung stelle sich als eine Befriedi-
gung der Wollust unter Personen desselben Geschlechts dar und trage
alle Erfordernisse der gleichgeschlechtlichen Unzucht an sich.228 Dage-
gen stufte der Gerichtshof die Handlung eines zweiundvierzigjährigen
226 OGH 842.
227 OGH 917.
228 Vgl OGH 917. Die Angeklagten werden als A, B und C bezeichnet, tatsächlich dürfte
es sich jedoch dem weiteren Sachverhalt zufolge nur um zwei Personen gehandelt
haben. Sowohl in dieser Entscheidung als auch in OGH 842 wird der Sachverhalt
in lateinischer Sprache wiedergegeben, wohl um die unzüchtigen Handlungen nur
einem möglichst kleinen Kreis zugänglich zu machen. Dazu und zur Verwendung
der lateinischen Sprache, um das sonst » Unsagbare « auszudrücken vgl auch Bauer
Heike, » Not a translation but a mutilation «: The Limits of Translation and the Dis-
cipline of Sexology, The Yale Journal of Criticism 2003, 381 ( 386 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik