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Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Darüber hinaus wusste die Kommission um die Auslegungsschwierig-
keiten, die § 129 StG 1852 für die Rechtsprechung mit sich brachte: Soll-
ten die Richter in die Lage versetzt werden, die Strafnorm möglichst
einheitlich anzuwenden, so wäre eine eingehende Beschreibung der
strafbaren Handlungen unumgänglich. Eine derartige Befassung » mit
widerlichem Detail « 512 schien der Kommission jedoch keinesfalls wün-
schenswert, weshalb sie die Strafbarkeit der widernatürlichen Unzucht
fallen ließ, sofern sie nicht eine öffentliche Verletzung der Sittlichkeit
nach § 198 der Regierungsvorlage 1867 darstellte.513
Die Streichung der widernatürlichen Unzucht aus dem Kreis der
strafbaren Handlungen schien auch in der Rechtswissenschaft Zustim-
mung zu finden. Weder Adolf Merkel noch Julius Glaser, der selbst in
seiner Sammlung höchstgerichtlicher Entscheidungen in Strafrechts-
sachen in Fällen des § 129 I b StG 1852 zur Schilderung des Sachverhal-
tes lieber auf die lateinische Sprache zurückgriff,514 gingen auf diesen
Umstand in ihren Besprechungen des Strafgesetzentwurfes näher ein.515
Wohlwollen gegenüber der Vorgehensweise der Strafrechtskommission
äußerte August Geyer: Es verdiene » Billigung, dass der Entwurf die wi-
dernatürliche Unzucht als solche [ … ] nicht für strafbar erklärt. « 516
Ergebnis der kommissionellen Beratungen der Regierungsvorlage
im Abgeordnetenhaus war der Bericht des Ausschusses vom 21. Februar
1870 517 sowie der diesem Bericht beigefügte Ausschussentwurf 1870 518.
Der Ausschussentwurf nannte im XVIII. Titel – » Strafbare Handlungen
Unzuchtsfälle kämen am häufigsten im Lombardisch-Venetianischen Königreich,
im Küstenlande und in Nordtirol vor, kaum dagegen in Böhmen, Galizien, Krain,
Mähren, Schlesien und Dalmatien. Die Zahl der Fälle betrage nirgends mehr als
2,5 Prozent aller Verbrechen, in einigen Kronländern sogar nur 0,33 Prozent. Vgl
Uebersicht der Ergebnisse der Strafrechtspflege in denjenigen Kronländern des
österreichischen Kaiserstaates, in welchen das Strafgesetz vom 3. September 1803
in Wirksamkeit ist, während der Jahre 1845, 1846, 1847 und 1848, veröffentl. vom
k.k. Justizministerium, 7.
512 Motive 110.
513 Vgl Motive 110.
514 Vgl OGH 842, 917.
515 Vgl Merkel Adolf, Bemerkungen über den speciellen Theil des österreichsichen Ent-
wurfes eines Strafgesetzes über Verbrechen und Vergehen ( 1867 ); Glaser Julius, Ue-
ber den Entwurf eines Strafgesetzes über Verbrechen und Vergehen, Allgemeine
Österreichische Gerichts-Zeitung 1867, 163.
516 Geyer August, Besprechung des Entwurfs eines Strafgesetzes über Verbrechen und
Vergehen für die nicht-ungarischen Länder Österreichs vom Jahre 1867 ( 1867 ) 141.
517 Vgl 75 BlgStenProtAH 5. Session 746 ff.
518 Vgl 75 BlgStenProtAH 5. Session 756 ff.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik