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Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Homosexualität wurden öffentlich diskutiert.629 Für eine Liberalisie-
rung der Strafbestimmungen gegen gleichgeschlechtliche Unzucht war
der Zeitpunkt damit denkbar ungünstig: Der Homosexuelle war von
einer Bedrohung für die Sittlichkeit des Volkes zu einer Gefahr für die
Sicherheit des Volkes avanciert.
Schon der österreichische Entwurf 1912, über den der deutsche
Jurist Fritz Dehnow urteilte, dass in ihm die Kasuistik » besonders üp-
pig [ … ] gedieh « 630, konnte hinsichtlich der gleichgeschlechtlichen Un-
zucht nicht wirklich als fortschrittlich gelten. Die Regierungsvorlage
1913 brachte diesbezüglich keine Verbesserung. Konsequent fortgeführt
wurde der Jugendschutzgedanke, gleichzeitig sollte einer Kriminalisie-
rung bloßen » jugendlichen Leichtsinns « vorgebeugt werden. Die Re-
gierungsvorlage 1913 erweiterte daher § 269 Abs 1 um folgende Bestim-
mung: » Wer zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr nicht vollendet
hat, ist nicht strafbar, wenn er zur Tat verführt wurde. « Die Kommission
für Justizgegenstände begründete diese Abänderung damit, dass hier-
bei an jene Fälle zu denken sei, » in denen ganze Klassen einer Schule
oder insbesondere einer Erziehungsanstalt der Päderastie verfallen
seien. « 631 Die Schuld des Einzelnen sei dabei nur gering zu bemessen,
weshalb die Verführten nicht strafbar sein sollten. Dagegen leistete die
Kommission der Anregung keine Folge, die Strafbarkeit der Sodomie
beizubehalten:
» Gegen die vereinzelten ländlichen Fälle genügt die Reaktion
des gesunden Gefühles insbesondere der weiblichen Bevölke-
rung; die Fälle, die etwa in städtischen Bordellen vorkommen,
gelangen kaum je zur Kenntnis der Behörden. « 632
Für den Rechtsanwalt Fritz Kübl bewies die Beibehaltung der Strafbar-
keit der Unzucht wider die Natur die Rückständigkeit des besonderen
Teils des Strafgesetzentwurfes. Die im Entwurf angeführten Gründe
629 Vgl etwa Danzer’s Armee-Zeitung vom 5. Juni 1913. Zur Affäre Redl siehe Kronebitter
Günther, » Krieg im Frieden «. Die Führung der k.u.k. Armee und die Großmachtpo-
litik Österreich-Ungarns 1906–1914 ( 2003 ) 17 ff. Viktor Rosenfeld, ein Bekannter Redls,
nützte dagegen die Affäre um den Generalstabsoberst um sich für die Beseitigung
des § 129 I b StG 1852 auszusprechen, vgl Rosenfeld Viktor, § 129 I b StG. Eine War-
nung anläßlich des Falles Redl, Neues Wiener Journal vom 3. Juni 1913, 6.
630 Dehnow Fritz, Strafbare geschlechtliche Handlungen – Ein Gegenentwurf, Archiv
für Kriminologie ( Kriminal-Anthropologie und Kriminalistik ), Bd 77, 1925, 23 ( 26 ).
631 167 BlgStenProtHH 21. Session 119.
632 167 BlgStenProtHH 21. Session 119 ( Hervorhebungen im Original ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik