Seite - 168 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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168 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Rechtsangleichung an das deutsche Strafrecht weiter voran. Ferdinand
Kadečka, Strafrechtsreferent im österreichischen Justizministerium, er-
stellte einen » österreichischen Gegenentwurf « zum deutschen Entwurf
1919. Dieser beruhte auf dem österreichischen Entwurf von 1912 und
den Stellungnahmen der Österreichischen Kriminalistischen Vereini-
gung zum deutschen Entwurf 1919.693 Das Kapitel über die Sittlichkeits-
delikte betitelte Kadečka in seinem Gegenentwurf zum Besonderen Teil
abweichend vom deutschen Entwurf 1919 mit » Straftaten gegen die Sitt-
lichkeit «.694 § 325 des Gegenentwurfs regelte die » Gleichgeschlechtliche
Unzucht «:
» Erwachsene Personen, die mit jugendlichen Personen dessel-
ben Geschlechtes Unzucht treiben, werden mit strengem Ge-
fängnis bis zu fünf Jahren bestraft.
Ebenso werden Männer bestraft, die gewerbsmässig gleichge-
schlechtliche Unzucht treiben.
Ein Mann, der sich in der Absicht, aus der gleichgeschlechtli-
chen Unzucht ein Gewerbe zu machen, zu der Tat anbietet oder
bereit erklärt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft. « 695
Gemäß § 326 des Gegenentwurfes erhöhte sich die Strafe für gleich-
geschlechtliche Unzucht nach § 325 1. Absatz auf strenges Gefängnis
nicht unter fünf Jahren oder lebenslanges strenges Gefängnis, wenn
die Tat eine schwere oder sehr schwere Körperverletzung oder den Tod
eines Jugendlichen zur Folge hatte. Unter schwerer beziehungsweise
sehr schwerer Körperverletzung war insbesondere die Ansteckung mit
einer Geschlechtskrankheit zu verstehen. In den Begründungen zu sei-
nen Gegenvorschlägen führte Kadečka aus, dass der österreichische
Strafgesetznovelle vom Jahre 1922 ), BGBl 1922 / 881; BG vom 17. Juli 1923, womit die
II. Strafgesetznovelle vom Jahre 1922 ergänzt wird, BGBl 1923 / 418.
693 Vgl Brauneder Wilhelm ( hg ), Österreichisch-deutsche Rechtsbeziehungen I.
Rechtsangleichung 1850–1938 ( 1996 ) 208.
694 Nur der Allgemeine Teil von Kadečkas Gegenentwurf wurde veröffentlicht, vgl Ös-
terreichischer Gegenentwurf zu dem Allgemeinen Teil des 1. Buches des deut-
schen Strafgesetzentwurfes vom Jahre 1919 ( 1922 ). Der Gegenentwurf zum Beson-
deren Teil findet sich im österreichischen Staatsarchiv, vgl ÖStA, AVA, FHKA, Kt 985,
Gr. Zl. 10.321 und 10.037, I / I-JI / 14, Zahl 33220 / 22. Das beigelegte Begleitschreiben
des Bundesministeriums für Justiz erwähnt, dass Gegenvorschläge vor allem in je-
nen » Punkte[ n ], in denen die herkömmliche österr Auffassung mit der deutschen
nicht ganz übereinstimmt « erstattet würden.
695 ÖStA, AVA, FHKA, Kt 985, Gr. Zl. 10.321 und 10.037, I / I-JI / 14, Zahl 33220 / 22.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik