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Die österreichische Reformdiskussion in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Gegenentwurf unter Unzucht nur jene Unzuchtsakte verstand, die nicht
im Beischlaf bestanden.696
Hinsichtlich der Reihung der Delikte schlug Kadečka eine Umgrup-
pierung vor, die sich an den angewendeten Mitteln orientieren sollte:
Auf jene Sittlichkeitsdelikte, die gewaltsame Handlungen beinhalte-
ten, hätten Verbrechen an Bewusstlosen, Geisteskranken und Kindern
zu folgen, daran anschließend die Erschleichung des Beischlafes, Ver-
führung und Missbrauch eines Abhängigkeits-, Verwandtschafts- oder
Autoritätsverhältnisses und schließlich die gleichgeschlechtliche Un-
zucht sowie die Verletzung der öffentlichen Sittlichkeit durch unzüch-
tige Handlungen. Die Bestimmungen über die gleichgeschlechtliche
Unzucht im österreichischen Gegenentwurf wichen in mehreren Punk-
ten vom deutschen Entwurf 1919 ab.697 Der Gegenentwurf stellte die
Unzucht zwischen erwachsenen Personen desselben Geschlechts nicht
länger unter Strafe. Stattdessen sah er Strafbarkeit für beide Geschlech-
ter vor, soweit es die gleichgeschlechtliche Unzucht zwischen Erwachse-
nen und jugendlichen Personen betraf. Neu waren auch die in § 326 des
Gegenentwurfs genannten Strafverschärfungsgründe, die sich an den
Bestimmungen der §§ 314–317 des Gegenentwurfs ( Notzucht, Nötigung
zur Unzucht, Schändung sowie Beischlaf und Unzucht mit Kindern ) ori-
entierten. Auf die Strafbarkeit der Unzucht mit Tieren verzichtete der
österreichische Gegenentwurf.
Im Juni und August 1922 erfolgten Beratungen zwischen dem deut-
schen Reichsminister Gustav Radbruch und Kadečka, bei denen zwar
nicht alle, aber doch ein erheblicher Teil der österreichischen Forde-
rungen durchgesetzt werden konnten. Am 13. September 1922 wurde
der » Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches « von
Radbruch als Kabinettsvorlage versandt. Diese Vorlage, die auch als
Radbruchscher Entwurf bezeichnet wird, stellte einen Kompromiss zwi-
schen den österreichischen und den deutschen Reformvorstellungen
dar.698
696 Vgl ÖStA, AVA, FHKA, Kt 985, Gr. Zl. 10.321 und 10.037, I / I-JI / 14, Zahl 33220 / 22, zum
22. Abschnitt. Terminologie und Systematik.
697 Hierzu führte Kadečka aus: » Die vorgeschlagene Formulierung entspricht den bei
der mündlichen Besprechung des allgemeines [ sic ! ] Teiles vereinbarten Grundsät-
zen. Sie bildet keine österreichische Forderung. «, ÖStA, AVA, FHKA, Kt 985, Gr. Zl.
10.321 und 10.037, I / I-JI / 14, Zahl 33220 / 22, zu § 325.
698 Vgl Schubert Werner ( hg ), Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts. I.
Abteilung Weimarer Republik ( 1918–1932 ). Band 1. Protokolle der Strafrechtsaus-
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik