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Das österreichische Strafverfahrensrecht in der Zwischenkriegszeit
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
ständig. Gegen erstinstanzliche Urteile und gegen Urteile der Schwur-
gerichte konnte Berufung an den Gerichtshof zweiter Instanz sowie
Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof erhoben werden
( §§ 280, 343 StPO 1873 ). Die Berufung war nur gegen den Ausspruch
über die Strafe 855 und zum Nachteil des Angeklagten nur dann zulässig,
wenn eine außerordentliche Strafmilderung oder eine Strafumwand-
lung ( §§ 54, 55, 260, 261 StG 1852; § 338 StPO 1873 ) erfolgt war. Die Nich-
tigkeitsgründe wurden in §§ 281 und 344 StPO 1873 abschließend gere-
gelt und mit Gesetz vom 31. Dezember 1877 856 ergänzt.857
C. Das österreichische Strafverfahrensrecht in der
Zwischenkriegszeit
1. Einleitung
Das Ende der Habsburgermonarchie berührte die Weitergeltung der
Strafprozessordnung ebenso wenig wie die des materiellen Strafrechts.
Bereits mit dem Beschluss vom 30. Oktober 1918 858, der so genannten
» Oktoberverfassung «, wurde die prinzipielle Weitergeltung der Gesetze
und Einrichtungen des cisleithanischen Teils der Monarchie angeord-
net ( § 16 ). An die Stelle des Staatsgrundgesetzes über die richterliche
Gewalt trat das Grundgesetz vom 22. November 1918 über die richter-
liche Gewalt 859. Es garantierte die Selbständigkeit, Unabhängigkeit
und grundsätzliche Unabsetzbarkeit 860 der Richter, die Trennung der
Justiz von der Verwaltung und die das Strafverfahren beherrschenden
durch Verordnung die Tätigkeit der Geschworenengerichte für die Dauer eines
Jahres in einem bestimmten Gebiet einzustellen, falls dies » zur Sicherung einer
unparteiischen und unabhängigen Rechtsprechung « notwendig erschien. Einge-
hend zur Geschworenengerichtsbarkeit in Österreich vgl Sadoghi Alice, Thesen zur
Geschworenengerichtsbarkeit – historische Aufarbeitung und Perspektiven ( 2007 ).
855 Sofern nicht der Nichtigkeitsgrund des § 281 Z 11 StPO 1873 vorlag.
856 Gesetz vom 31. December 1877, womit die Bestimmungen der Strafproceßordnung
über Nichtigkeitsbeschwerden ergänzt und abgeändert werden, RGBl 1878 / 3.
857 Ausführlich dazu Kapitel IX.
858 Beschluß der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom
30. October 1918, über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, StGBl
1918 / 1.
859 StGBl 1918 / 38.
860 Eine Absetzbarkeit war nur unter den engen, in § 7 Abs 2 Grundgesetz über die
richterliche Gewalt normierten Voraussetzungen zulässig.
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik