Seite - 275 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Ermittlungen gegen Georg G. aufgrund von Gerüchten erneut aufge-
nommenen. Sie erstreckten sich diesmal sogar bis nach Steyr und Wien,
führten aber wieder nicht zu ausreichenden Anhaltspunkten für ein
Strafverfahren. Schließlich legte die Sicherheitsbehörde die Ergebnisse
der Ermittlungen » vorläufig bis zum Aufscheinen konkreter Verdachts-
gründe « 1170 ad acta.
Obwohl beide Untersuchungen gegen Georg G. aus sicherheitsbe-
hördlicher Sicht » erfolglos « verliefen, gaben hier wie auch in » erfolg-
reichen « Fällen Aufbau und Inhalt der Anzeige die Richtung und die
Struktur vor, die die weiteren Erhebungen annahmen.1171 Die Personen,
die von vermeintlichen Unzuchtsakten erzählten, und die Beamten, die
diese Erzählungen in schriftliche Anzeigen übersetzten, nahmen als
» unterste Kriminalisierungsinstanzen « 1172 eine erste Weichenstellung
für den Verlauf des weiteren Strafverfahrens vor: Die Anzeigen bezeich-
neten das Delikt, wiesen darauf hin, ob die Tat vollendet worden oder
es beim Versuch geblieben war,1173 und nannten – soweit bekannt – die
Namen der Tatverdächtigen und ihre jeweilige Position im Hinblick
auf die Tat. Der ermittelnde Blick erhielt dadurch eine erste Zielrich-
tung und ein einmal geäußerter Verdacht konnte sich als äußerst hart-
näckig erweisen.1174 Die Sicherheitsbehörden ließen es meist nicht bei
der schlichten Weitergabe der Anzeige an die Staatsanwaltschaft be-
wenden, sondern setzten in unterschiedlichem Umfang Ermittlungs-
handlungen, deren Ergebnis sie im Anschluss dem Staatsanwalt wei-
terleiteten. Allerdings stellte eine Einbringung der Anklageschrift oder
ein Antrag auf Bestrafung im vereinfachten Verfahren allein aufgrund
der Anzeige die Ausnahme dar und erforderte eine besondere Beweis-
lage. Einem vermeintlichen » Knabenschänder « in Dornach beispiels-
weise hatten die Sicherheitsbeamten gemeinsam mit dem Buben Josef
1170 OÖLA, BG / LG Linz Sch 366, 12 Vr 1523 / 30, Aktenvermerk ( undatiert ).
1171 Vgl Habermas Rebekka, Diebe 77.
1172 Hanak Gerhard / Pilgram Arno, Sicherheitsbericht 22.
1173 Auch die » versuchte Verleitung zur Unzucht « wurde strafrechtlich geahndet, siehe
zB OÖLA, BG / LG Linz Sch 388, 6 Vr 633 / 32, Anzeige vom 14. April 1932; OÖLA, BG / LG
Linz Sch 476, 6 Vr 716 / 36, Anzeige vom 21. März 1936.
1174 Der Schlossbesitzer, den Georg G. angeblich als seinen Verehrer bezeichnet hatte,
wurde noch ein Jahr nach den sicherheitsbehördlichen Erhebungen » bei jeder
sich bietenden Gelegenheit, namentlich beim Baden in der Feldaist in unauffäl-
liger Weise beobachtet, wobei festgestellt werden konnte, daß er keinesfalls mit
Herren besonders liebenswürdig und zärtlich wäre. «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 366,
12 Vr 1523 / 30, Mitteilung vom 16. August 1928.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik