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300 VII. Von der Anzeige zur Anklage
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
legte, der Wahrheit entsprechend auszusagen.1313 Tatsächlich konnte die
» Wahrheitserinnerung « bei rechtsunkundigen Beschuldigten durchaus
den Anschein einer gesetzlichen Obliegenheit zur wahrheitsgemäßen
Aussage erwecken: 1314 Die Beschuldigten auch über ihr Schweigerecht zu
belehren, verlangte die Strafprozeßordnung 1873 nämlich nicht.1315 § 3
StPO 1873 enthielt zwar eine allgemeine Pflicht, Beschuldigte dort, wo
es das Gesetz nicht ausdrücklich verlangte, über ihre Rechte zu beleh-
ren. Hinsichtlich der Selbstbelastungsfreiheit wurde dies allerdings wei-
testgehend ignoriert.1316 Die Beschuldigtenvernehmung blieb daher zu
einem wesentlichen Teil strafprozessuales Beweismittel und hatte den
Zweck, » die Wahrheit über die in Frage stehende Strafsache von dem Be-
schuldigten zu erfahren « 1317.
Nach der Ermahnung zur wahrheitsgemäßen Aussage wurden die
persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten, die für gewöhnlich schon
durch die Sicherheitsbehörden ermittelt worden waren und sich be-
reits im Akt befanden, erneut aufgenommen.1318 Daran anschließend
hatte der Untersuchungsrichter den Beschuldigten die ihnen zur Last
gelegte strafbare Handlung » ohne allzuweit gehende Anführung der
Einzelheiten « 1319 zu bezeichnen und sie aufzufordern, sich dazu in ei-
ner » zusammenhängenden, umständlichen Erzählung « 1320 zu äußern.
Die Protokolle über Beschuldigtenvernehmungen ähnelten somit jenen
1313 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 206 f; Henschel Arthur, Vernehmung 20 f.
Henschel vertrat die Ansicht, dass den Beschuldigten sogar ein » doppeltes Recht «
zustehe, nämlich einerseits jegliche Aussage zu verweigern und andererseits eine
etwaige Schuld auch wider besseres Wissen zu bestreiten.
1314 Vgl Moos Reinhard in Jung Heike ( hg ), Strafprozeß 59 f.
1315 Vgl Henschel Arthur, Vernehmung 28.
1316 Dazu Fasching Martina, Die historische und aktuelle Bedeutung des Geständnisses
im Zivil- und Strafprozess. Eine rechtsvergleichende Untersuchung ( 2013 ) 128 f mit
weiteren Nachweisen.
1317 Rulf Friedrich, Strafprocess 3 116 f.
1318 Gross empfahl den Untersuchungsrichtern, das im Akt angegebene » Vorleben « der
Beschuldigten mit dem anlässlich der Vernehmung in der Voruntersuchung be-
richteten zu vergleichen, um festzustellen, ob » der Inquisit « die Wahrheit sagt oder
» in welcher Weise er zu lügen pflegt. «, Gross Hans / Höpler Erwein, Handbuch I 7 148
( Hervorhebung im Original ). Dagegen schien Höpler die Erforschung des Vorle-
bens von Beschuldigten nur insoweit als notwendig, als daraus auf ein Tatmotiv
beziehungsweise auf die Fähigkeit der Beschuldigten zur angelasteten Handlung
geschlossen werden konnte, vgl Höpler Erwein, Archiv für Kriminal-Anthropologie
und Kriminalistik, Bd 67, 1916, 219.
1319 Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 273.
1320 Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 273.
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik