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Das Suchen und Finden von Beweisen
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
[ gemacht habe ], wieder freizukommen « 1332. Nun wandte sich Josef H. an
den Untersuchungsrichter mit der Frage, was er denn tun solle, » damit
die Sache so rasch wie möglich beendet ist « 1333 und erhielt von diesem
zur Antwort, es sei allein seine Aufgabe, » die Wahrheit aufzudecken; ein
falsches Geständnis ist daher ohne jeden Wert. « 1334 Mit Fortdauer des
autoritären Ständestaates wurde die Aufhebung einer einmal verhäng-
ten Untersuchungshaft allerdings auch bei Vorliegen eines glaubhaften
Geständnisses immer unwahrscheinlicher. In den Unzuchtsverfahren
vor dem Landesgericht Linz war der 69-jährige Tagelöhner Georg M. der
letzte Beschuldigte, der gegen Gelöbnis enthaftet wurde, nachdem er die
ihm zur Last gelegten Handlungen gestanden hatte.1335 Ab der zweiten
Hälfte des Jahres 1936 erfolgte auch bei umfassendem Geständnis keine
Enthaftung gegen Gelöbnis mehr.
In diesen Rahmen aus Erscheinungspflichten, richterlichen Ermah-
nungen, Formalien, Belehrungen, Freiheitsentzug und zunehmend
schwindenden Möglichkeiten der Enthaftung hatten sich die Beschul-
digtenaussagen einzufügen.1336 Die Vernehmungsprotokolle begnügten
sich nicht mit pauschalen Schuldeingeständnissen: Die Beschuldigten
mussten berichten, welche Handlungen stattgefunden hatten, wer wes-
sen Geschlechtsteile ergriffen hatte, wie oft dies vorgefallen war, ob Sa-
men vergossen worden war und ob diese Handlungen zur Befriedigung
der Geschlechtslust vorgenommen worden waren. In der Form, in der
sie in das Protokoll aufgenommen wurden, enthielten die Beschuldig-
tenaussagen freilich kaum mehr unmittelbare Äußerungen. Sie waren
durch wiederholte Vernehmungen – durch Sicherheitsbehörden, Be-
zirksgerichte und schließlich Untersuchungsrichter 1337 – gefiltert. In
den Vernehmungsprotokollen wurden die Aussagen der Beschuldigten
1332 OÖLA, BG / LG Linz Sch 482, 6 Vr 1302 / 36, Vernehmung des Beschuldigten vom
16. Juli 1936, fortgesetzt am 22. Juli 1936.
1333 OÖLA, BG / LG Linz Sch 482, 6 Vr 1302 / 36, Vernehmung des Beschuldigten vom
16. Juli 1936, fortgesetzt am 22. Juli 1936.
1334 OÖLA, BG / LG Linz Sch 482, 6 Vr 1302 / 36, Vernehmung des Beschuldigten vom
16. Juli 1936, fortgesetzt am 22. Juli 1936.
1335 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 478, 6 Vr 980 / 36, Vernehmung des Beschuldigten vom
3. Juni 1936, fortgesetzt am 6. Juni 1936.
1336 Dazu auch Naucke Wolfgang in Schönert Jörg ( hg ), Kriminalität 67 f.
1337 Im Regelfall hatten Zeuginnen und Zeugen wenigstens drei Aussagen abzulegen:
Vor dem Gendarmen oder Polizeibeamten, dem Untersuchungsrichter und in der
Hauptverhandlung. Dies ließ sich gleichfalls auf die meisten Beschuldigten über-
tragen, vgl Lohsing Ernst, Geständnis 84.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik