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332 VIII. Hauptverhandlung und Urteil
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
ginnen und Zeugen namhaft, die seine Unschuld beweisen sollten.1496
Da das Oberlandesgericht Wien dem Einspruch keine Folge leistete, er-
wuchs die Anklage gegen Josef Zw. in Rechtskraft.1497 Das Strafverfah-
ren näherte sich damit seinem Höhepunkt, der Hauptverhandlung. Sie
galt als Kernstück des Verfahrens. Sämtliche Verfahrensstadien, die der
Hauptverhandlung vorgelagert waren, sollten sich zu ihr lediglich » wie
Mittel zum Zweck, wie das Nebensächliche zur Hauptsache « 1498 verhal-
ten. Ziel der Hauptverhandlung selbst war das Urteil, das das erken-
nende Gericht zu fällen hatte: War erst einmal die Hauptverhandlung
eröffnet worden, so musste die erhobene Anklage durch ein Urteil er-
ledigt werden. Eine Einstellung des Verfahrens kam nach Beginn der
Hauptverhandlung nicht mehr in Betracht.1499 Das Hauptverfahren
diente jedoch nicht nur dazu, zu einem verurteilenden oder freispre-
chenden Urteil zu gelangen, sondern auch die verfahrensrechtlichen
Grundsätze der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit zu
verwirklichen. Dieses Programm drückte sich bereits in der Bezeich-
nung als » Hauptverhandlung « aus: » Prozeßgesetze, welche jene Grund-
sätze möglichst beschränken wollten, zogen, wenn sie überhaupt noch
eine › Verhandlung ‹ zuließen, den Namen: › Schlußverhandlung ‹ vor. « 1500
Gleichzeitig machten die gesetzlichen Grundlagen des Strafprozesses
die Hauptverhandlung zu einem anschaulichen und bemerkenswerten
Beispiel für die Inszenierung von Rechtsnormen.1501
1496 Vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 477, 6 Vr 816 / 36, Brief vom 16. Mai 1936. In einem frü-
heren Verfahren hatte Josef Zw. dagegen ein gänzlich anderes Verhalten an den
Tag gelegt. Laut Anzeige setzte sich Zw. bereits gegen seine Festnahme zur Wehr,
beschimpfte die Beamten » und mußte mittels eines Handwagens, auf den er ge-
bunden werden mußte «, zum Landesgendarmeriekommando gebracht werden,
vgl OÖLA, BG / LG Linz Sch 344, 11 Vr 858 / 29, Anzeige vom 4. Juni 1929.
1497 Eine Anklage wurde rechtskräftig, wenn gegen sie entweder kein Einspruch erho-
ben oder diesem vom Oberlandesgericht keine Folge gegeben wurde. Die Folge
war die rechtskräftige Versetzung der Beschuldigten in den Anklagestand sowie
die grundsätzliche Zuständigkeit desjenigen Gerichts, das nach der Anklageschrift
zur Hauptverhandlung berufen war, vgl Lohsing Ernst, Strafprozeßrecht 3 320 f.
1498 Glaser Julius, Hauptverhandlung, in Holtzendorff Franz von ( hg ), Encyclopädie der
Rechtswissenschaft in systematischer und alphabetischer Bearbeitung. Zweiter
Theil. Rechtslexikon II 3 ( 1881 ) 272.
1499 Vgl Gleispach Wenzeslaus, Strafverfahren 2 244.
1500 Glaser Julius in Holtzendorff Franz von ( hg ), Encyclopädie 272 ( Hervorhebung im
Original ).
1501 Vgl Boehme-Neßler Volker, BilderRecht. Die Macht der Bilder und die Ohnmacht des
Rechts ( 2010 ) 171.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik