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372 IX. Rechtsmittel und Gnadengesuche
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
zwischen absoluten 1701 und relativen 1702 Nichtigkeitsgründen: Erstere
führten bei Anfechtung jedenfalls zur Aufhebung des Urteils. Letztere
dagegen bewirkten nur dann die Nichtigkeit des bekämpften Urteils,
wenn im Einzelfall angenommen werden musste, dass die Nichtbeach-
tung der jeweiligen Vorschriften die Urteilsfällung beeinflusst hatte.1703
Einzubringen war die Nichtigkeitsbeschwerde beim Gerichtshof erster
Instanz. Er hatte das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, wenn
es zu spät angemeldet worden war oder von einer Person eingebracht
wurde, die zur Erhebung der Nichtigkeitsbeschwerde nicht berechtigt
war oder auf ihr diesbezügliches Recht verzichtet hatte. Außerdem war
eine Beschwerde zurückzuweisen, wenn sie die Nichtigkeitsgründe
nicht bezeichnete, auf die sie sich stützte, oder den Tatumstand nicht
angab, der den Nichtigkeitsgrund bilden sollte.1704
Von 1927 bis zum Beginn des Jahres 1938 erhoben in den Verfahren
wegen widernatürlicher Unzucht vor dem Landesgericht Linz vierzehn
Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde an den Obersten Gerichtshof. Un-
ter ihnen war keine einzige weibliche Beschwerdeführerin. Die meis-
ten Beschwerdeführer machten den Nichtigkeitsgrund des § 281 Z 9 a
1701 Dazu zählte es gem § 281 StPO 1873 wenn der erstinstanzliche Gerichtshof nicht ge-
hörig besetzt gewesen war; wenn gegen die Vorschriften über die notwendige Ver-
teidigung verstoßen wurde; wenn der Ausspruch des Gerichtshofs im Urteilstenor
oder den Entscheidungsgründen undeutlich oder unvollständig war; wenn der
Ausspruch des Gerichtshofs widersprüchlich war oder einer Begründung ent-
behrte; wenn der Gerichtshof ungerechtfertigt seine Nichtzuständigkeit ausge-
sprochen hatte und wenn das Urteil die Anklage nicht erledigte oder überschritt.
Nach § 8 Gesetz vom 31. Dezember 1877, womit die Bestimmungen der Strafpro-
ceßordnung über Nichtigkeitsbeschwerden ergänzt und abgeändert werden, RGBl
1878 / 3, begründete auch die Unzuständigkeit des zweitinstanzlichen Gerichtshofs,
der die Versetzung in den Anklagestand ausgesprochen hatte, absolute Nichtigkeit.
1702 Bloß relative Nichtigkeit begründete es gem § 281 StPO 1873, wenn während der
Hauptverhandlung ein Schriftstück über einen dem Gesetz nach nichtigen Vorerhe-
bungs- oder Voruntersuchungsakt verlesen worden war, obwohl sich die beschwer-
deführende Partei dagegen verwahrt hatte; wenn eine Vorschrift vernachlässigt oder
verletzt worden war, deren Beachtung das Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit ausdrück-
lich vorsah oder wenn über einen Antrag der beschwerdeführenden Partei nicht
erkannt oder durch ein gegen den Antrag oder Widerspruch gefälltes Zwischener-
kenntnis wesentliche Prinzipien des Strafverfahrens verletzt worden waren. Hierzu
zählten vor allem die Grundsätze der Öffentlichkeit, der Mündlichkeit und der Be-
weiserhebung über alle wesentlichen Tatsachen, vgl Rulf Friedrich, Strafprocess 3 204.
1703 Vgl Rulf Friedrich, Strafprocess 3 200 ff.
1704 § 1 Gesetz vom 31. December 1877. Gegen den Zurückweisungsbeschluss konnte
binnen drei Tagen Beschwerde an den Obersten Gerichtshof erhoben werden, der
endgültig über die Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde entschied ( § 2 Gesetz
vom 31. December 1877 ).
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik