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4Ö Das Akanthusblatt,
symbolische Bedeutung hat der Akanthus wohl nie besessen, seine
vielfache und vielartige Ver\^'endung verdankt er seinen omamental
entwickelten, schöngezackten Blättern. Der Akanthus wächst im Süden
Europas wild, während er bei uns blofs in botanischen Gärten zu
finden ist. Es existiert eine Reihe verschiedener Arten, von welchen
hier Erwähnung finden mögen: Acanthus mollis mit breiten,
stumpfen Blattspitzen, Acanthus spinosus und spinosissimus
mit spitzen tmd sehr spitzen, in Domen verlaufenden Blattlappen und
verhältnismäfsig schmälem Blättem. Hauptsächlich ist es die Auf-
fassung und Wiedergabe des Blattrandes, der sog. Blattschnit t ,
welcher für die einzelnen Stilperioden charakteristisch ist. Der
griechische Stil verwendet mit Vorliebe spitze, starre Formen; im
römischen Stil werden die Blattzipfel rander, breiter, zum Teil auch
lebendiger bewegt; der byzantinische und romanische Stil kehren
wieder zu steiferen, weniger fein gefühlten Formen zurück. Die
gotische Periode, die neben der Verwendung einer Reihe von ein-
heimischen Pflanzen auch den überbrachten Akanthus benutzt, bedient
sich in ihrer ersten Zeit (Frühgotik) rander knolliger Formen, in der
Spätgotik dagegen bizarrer, langgestreckter, distelartiger Bildungen;
in beiden Fällen ist die Gesamtauffassung mehr oder weniger natura-
listisch, das Detail jedoch gewöhnlich bis zur Unkenntlichkeit stilisiert.
Die das antike Omament wieder aufnehmende Renaissanceperiode
entwickelt das Akanthusomament, besonders das Rankenomament zur
höchsten Vollendung; in den darauf folgenden Stilen verschlechtert
sich der Formalismus nach dieser Richtung. Die Omamentik der
Neuzeit sucht ihre Vorbilder so ziemlich in allen Stilen imd erreicht
in ihren Bildungen für gewöhnlich keinen ausgesprochenen, eigenartig
modemen Charakter.
Tafel 21.
1. Blatt von Acanthus mollis, naturalistisch gezeichnet. (Jacobsthal.)-
2. Akanthuskelch mit Blatt- und Blütenstand von Acanthus mollis,
naturalistisch gezeichnet. (Jacobsthal.
3. Blatt von Acanthus mollis, naturalistisch gezeichnet. (Raguenet.)
4. Blatt von Acanthus spinosus, naturalistisch dargestellt. (Gewerbehalle.)
5. Akanthuskelchpartie, von einer griechischen Stelenkrönung. (Ra-
guenet)
6. Überfall eines Akanthusblattes, von einem römischen Pnmkkande-
laber, im Museum des Vatikan.
7. Griechisches Akanthusblatt, schematisch gezeichnet. (Jacobsthal.)
8. Römisches Akanthusblatt, schematisch gezeichnet. Das Vorbild ist
einem Säulenkapitäl vom Pantheon in Rom entlehnt. Charakte-
ristisch tmd auf den Effekt der Fernwirkung berechnet sind die
löffeiförmigen Abrandungen tmd Aushöhlungen der Blattspitzen,
sowie die tiefen Einschnitte in den Blattwinkeln.
Handbuch der Ornamentik
Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Titel
- Handbuch der Ornamentik
- Untertitel
- Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Herausgeber
- Franz Sales Meyer
- Ort
- Leipzig
- Datum
- 1937
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.6 x 15.7 cm
- Seiten
- 628
- Kategorie
- Kunst und Kultur