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76 Der Löwe.
die typisch gewordenen, selbständigen tierischen Ornamentformen zu-
sammen, so beschränken sich dieselben auf eine verhältnismäfsig sehr
kleine Zahl, von denen die hauptsächlichsten eine nähere Betrachtung
finden sollen. Aus der Reihe der Säugetiere sind in erster Linie zu
erwähnen der Löwe, Tiger und Panther, der Stier, das Pferd und
der Widder, sodann der ebenfalls hierher gehörige Delphin. Aus der
Reihe der Vögel findet eine allgemeinere Verwendung blos der Adler.
Dazu kommen die phantastischen Bildungen der Fabeltiere, des
Greifen, des Doppeladlers u. s. w.
Der Löwe, (Tafel 41—44.)
Den ersten Platz in der ornamentalen Fauna nimmt der Löwe
(Felis leo) ein. Seine Stärke, sein Mut und Edelsinn — die beiden
letzteren Eigenschaften werden, nebenbei bemerkt, von der Natur-
geschichte nicht als vollgültig anerkannt — sichern ihm seit den
ältesten Zeiten den Rang eines Königs der Tiere. Seine maje-
stätische Gestalt, sein gedrungener, proportionierter Bau mit der aus-
gesprochenen Muskulatur, stellen der Darstellung lohnende Aufgaben.
Liegend, schreitend, sitzend, kämpfend, erlegt und erlegen bildet er
ein glückliches und oft verwendetes Motiv.
Auf den in assyrischen Königspalästen ausgegrabenen Relief-
platten sind Löwenscenen und Löwenjagden ständig wiederkehrend.
Charakteristische natürliche Bewegungsformen und eine ausgeprägte
Wiedergabe der Muskulatur geben diesen stilisierten Darstellungen
einen eigenen Reiz und eine gewisse Grofsartigkeit.
Im Kultus der Ägypter spielte der Löwe ebenfalls eine Rolle.
Die Thatsache, dass die für das Land so hochbedeutende und frucht-
bringende alljährliche Nilüberschwemmung mit der Zeit zusammen-
zufallen pflegt, in welcher die Sonne in das Sternbild des Löwen
tritt, hat denselben in Beziehung zu dem Wasser gebracht und den
Anlass gegeben zu seiner Verwendung auf Eimern und andern Ge-
fäfsen, als Wasserausguss u. s. w. Die ägyptische Kunst stilisiert für
gewöhnlich den Löwen bis zur Unkenntlichkeit; sie stellt ihn mit
Vorliebe, ruhend dar; die einfache, strenge Behandlung der Mähne,
einem steifen Kragen nicht unähnlich, verleiht dem Löwen einiger-
mafsen das Aussehen der Löwin, welche eine reich gelockte Mähne
nicht besitzt.
Bei den Griechen und Römern gilt der Löwe als Quellen-
hüter, als Thor- und Tempelwächter, daher seine Anwendung an
Brunnen und auf Treppen, über Thoren und auf Denkmälern. Der
schlafende Löwe ist das Symbol des gefallenen Helden. (Der Löwe
vom Pyraeus, das Löwenthor von Mikene, das Grabmal des Leonidas
und die Gräber von Halikamass mögen als Beleg für das Gesagte
gelten.)
Handbuch der Ornamentik
Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Titel
- Handbuch der Ornamentik
- Untertitel
- Zum Gebrauch für Musterzeichner, Architekten, Schulen und Gewerbetreibende sowie zum Studium im Allgemeinen
- Herausgeber
- Franz Sales Meyer
- Ort
- Leipzig
- Datum
- 1937
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 9.6 x 15.7 cm
- Seiten
- 628
- Kategorie
- Kunst und Kultur