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92 IV. Inhaltliche Aspekte
zentren wie Augsburg, Regensburg oder Ulm zusammen545. Auch siedelten sich wohl im
letzten Viertel des 14. Jahrhunderts zahlreiche oberdeutsche Barchenter in Wien an546.
Zusammenfassend lässt sich eine Zunahme der Bezeichnung geselle seit ca. 1440 in
den Texten des HWOB feststellen. Der ältere Begriff knecht, der sich ursprünglich ledig-
lich auf ein Abhängigkeitsverhältnis des so Bezeichneten bezieht und keine negative Kon-
notation per se darstellt, hält sich aber bis in das 16. Jahrhundert hinein, teilweise werden
in ein- und derselben Ordnung auch beide Begriffe verwendet. Das Wort geselle setzt sich
in den Wiener Ordnungen auffälligerweise zunehmend nach dem Erlass der allgemeinen
Gesellenordnung von 1439 und der Zunahme von Konflikten zwischen Meistern und
Gesellen von den 1410er bis zu den späten 1430er Jahren durch547. Auch die Rasur des
Wortes knecht und seine Ersetzung durch geselle in zwei Ordnungen aus dem Jahre 1435
fallen wohl nicht ganz zufällig in diese Zeit der Unruhen und des steigenden Selbstbe-
wusstseins der Gesellen als eigenständige soziale Gruppe und sprechen für eine zuneh-
mende Bedeutungsverschlechterung des Wortes knecht. Die lateinische Entsprechung für
geselle – socius – unterstreicht das korporative Element des sich immer mehr durchsetzen-
den neuen Begriffs. Der Befund der zwar häufigeren Verwendung des Wortes geselle seit
dem 15. Jahrhundert bei gleichzeitiger Abnahme, aber nicht völligem Verschwinden, der
Bezeichnung knecht deckt sich somit mit den vor allem durch Auswertung von Quellen-
material deutscher Städte erzielten Ergebnissen548.
IV.2.4. Die arbeitsbezogenen Bestimmungen
IV.2.4.1. Aufdingung und Einstellung
Die Aufdingung steht am Beginn jeder Arbeitstätigkeit eines Gesellen in einer Stadt.
Im Grunde wird hierbei ein Arbeitsvertrag zwischen Meister und Geselle abgeschlossen,
der die Pflicht zur Entrichtung eines Lohns beinhaltet549. Allerdings muss der Geselle zu-
vor gewisse Voraussetzungen erfüllen, um überhaupt für eine Anstellung in Frage zu kom-
men. Beispielsweise legen die Messerer von Wien, Steyr, Waidhofen/Ybbs und St. Pölten
bereits im Jahre 1439 fest, dass man sich über das Verhalten eines Gesellen bei seinem vo-
rigen Meister erkundigen soll, falls der Aufzudingende innerhalb der Stadt die Werkstatt
wechselt550. Diese Bestimmung findet sich auch in der Messererordnung der sogenannten
545 Nicht umsonst versuchten die Wiener Barchentweber im Jahr 1428 beim Rat der Stadt, ein allge-
meines Einfuhrverbot für Barchent aus Ulm, Augsburg, Regensburg, Passau und – als einziger österreichischer
Marktort – Kirchdorf an der Krems (OÖ) zu erwirken, lediglich der Barchent aus Venedig wurde geduldet, da
man von dort auch die Baumwolle bezog, vgl. dazu Nr. 69; Mayer, Handel 56; Kallbrunner, Barchentweberei
81; Zatschek, Handwerksordnungen 28; von Stromer, Gründung 85.
546 Mayer, Handel 36; Kallbrunner, Barchentweberei 77.
547 Zu den Konflikten siehe oben S. 84−89.
548 Siehe z. B. Reininghaus, Gesellengilden 69; Schulz, Handwerksgesellen 52f.; Kluge, Zünfte
165f. Eine Ausnahme stellt hierbei vor allem Haberleitner, Handwerk 40–45, dar, der für die Steiermark
und Kärnten unter anderem das dortige Gesellenwesen vom Spätmittelalter bis 1850 untersucht und dabei
detailliert auf die Bezeichnungen für Gesellen eingeht. Auch er sieht das Wort knecht im 14. Jh. und der ersten
Hälfte des 15. Jhs. als dominierend an, ab ca. 1450 taucht erstmals vermehrt geselle in der Untersuchungsregion
auf. Trotz allem wird knecht bis in das 17. Jh. hinein relativ konstant weiterverwendet. Siehe zur Verwendung
von knecht und geselle in Wien auch überblicksmäßig Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 44f.
549 Uhlirz, Gewerbe 633; Hollnsteiner, Lehrlings- und Gesellenwesen 48.
550 Siehe Nr. 104 Art. 8.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen