Seite - 116 - in Das Wiener Handwerksordnungsbuch - (1364–1555)
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116 IV. Inhaltliche Aspekte
jedoch allgemein als Fixpunkt im Jahresablauf der Handwerker Wiens. In nahezu jeder im
HWOB überlieferten Gesellenschaftsordnung wird den Gesellen vorgeschrieben, an der
Fronleichnamsprozession zusammen mit ihren Meistern teilzunehmen. Verdeutlicht wird
die Wichtigkeit von Fronleichnam durch die diesbezügliche Ordnung, die im Jahre 1463
vom Rat erlassen wurde und die Reihenfolge der einzelnen Gewerbe in der Prozession
festlegte.
Die untersuchten religiösen und sozialen Bestimmungen zeigen, welch umfassende
Organisation hinter den Gesellenschaften stand. Die Vereinigung innerhalb der Gesellen
eines Gewerbes hatte somit wohl vor allem auch die Aufgabe einer Art Auffangbeckens:
Obwohl die meisten Gesellen nicht in ihrer Heimatstadt lebten, konnten sie trotzdem
sicher sein, weitgehende soziale Absicherung zu genießen, in einer sie unterstützenden
Gemeinschaft zu leben und ihre religiösen Bedürfnisse ebenso ausleben zu können. Diese
Absicherung war allerdings neben den offensichtlichen Vorteilen auch mit gewissen
Pflichten der Gesellen verbunden, die sich in Beitrags- und Strafzahlungen oder in der
Pflicht zur Teilnahme an den gemeinsamen Messen und Prozessionen manifestierten.
IV.2.6. Verhalten der Gesellen in der Öffentlichkeit und Pflichten gegenüber der Stadt
IV.2.6.1. Öffentliches Trinken und Streitigkeiten
Zu den Aufgabenbereichen der Gesellenschaften gehörte auch die Sorge um das öf-
fentliche Auftreten ihrer Mitglieder. Dies betraf in der Regel zunächst einmal öffentli-
che Unruhen, die oftmals mit übermäßigem Weingenuss einherzugehen schienen. In
der allgemeinen Gesellenordnung von 1439 wird beispielsweise bereits erwähnt, dass die
Gesellen nach dem Läuten der Bierglocke, das die Sperrstunde der Wirtshäuser anzeigt,
nicht mehr in den Straßen Wiens unterwegs sein durften – eine klare Disziplinierungs-
maßnahme753. Eine ähnliche Verfügung taucht auch in der Schustergesellenordnung von
1495 auf, jedoch beschränkt auf die Weihnachtszeit754. Auch das vorbildliche öffentliche
Verhalten wird in dieser Ordnung angesprochen: Der Geselle darf die Hausehre – also
wohl den Meister oder dessen Familie – nicht beschimpfen (smàhen), da er ansonsten
in Wien keine Anstellung mehr finden soll755. Auch die Kürschnergesellenordnung von
1445 enthält ein Verbot des übermäßigen Weingenusses, wenn dieser mit unehrbarem
Verhalten einhergeht, und untersagt gleichzeitig ebenso Diebstahl von Hab und Gut des
Meisterpaares, des Herbergswirtes oder anderer Gesellen bzw. ungebührliche Verhaltens-
weisen auf der gassen, und zwar bei Tag oder Nacht756. Übermäßiger Weingenuss, der
damit endet, dass sich der Betrunkene übergeben muss, wird auch in der Ordnung der
Schuster (1495) untersagt und mit der Zahlung eines Viertels Wein bestraft757.
Ein explizites Verbot, öffentlich zu streiten oder gar mit Messern aufeinander loszu-
gehen, findet sich beispielsweise in der Ordnung der Nadler aus dem Jahre 1479758 oder
753 Siehe Nr. 244 Art. 4, und oben S. 88.
754 Siehe Nr. 312 Art. 13.
755 Siehe Nr. 312 Art. 11.
756 Siehe Nr. 252 Art. 9–11.
757 Siehe Nr. 312 Art. 17.
758 Siehe Nr. 299 Art. 7.
Das Wiener Handwerksordnungsbuch
(1364–1555)
- Titel
- Das Wiener Handwerksordnungsbuch
- Untertitel
- (1364–1555)
- Autor
- Markus Gneiß
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20418-3
- Abmessungen
- 17.3 x 24.5 cm
- Seiten
- 674
- Schlagwörter
- Late Medieval Vienna, Craft ordinances, Craftsmen, Late Medieval Urban Administration, Commented Edition, Wien im Spätmittelalter, Handwerksordnungen, Handwerker, Spätmittelalterliche Stadtverwaltung, Kommentierte Edition
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen