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der Bildersturm der böhmischen hussiten 31
Wortes vom Bild, dem mündlichen Sprachaus-
druck und der Performanz auf das gedruckte
Wort, das immer und überall, ob öffentlich oder
privat gleich vorgelesen werden kann. Die zweite
Verlagerung, die damit indirekt zusammenhängt,
war die vom Bild als einem physischen Objekt
auf seinen künstlerischen Wert. Dabei geht es
um die Entstehung der Kategorie des autono-
men Kunstwerks. Zum eigentlichen Sinn der
neuen Kategorie des künstlerischen Bildes wurde
allmählich die Möglichkeit eines authentischen
persönlichen Erlebens durch den Betrachter,
wobei es keineswegs um ein überwiegend religi-
öses, sondern um ästhetisches Erleben ging. Zum
Vermittler zwischen der überirdischen Sphäre
der Bedeutung und dem irdischen materiel-
len Gegenstand (Bild, Kunstwerk) wurden der
Künstler, sein Ingenium und seine persönliche
Fähigkeit, im Bild überpersönliche Inspiration zu
realisieren. Paradoxerweise wurde der Künstler
dadurch vom Anspruch auf Objektivität befreit,
ja vom Anspruch auf sakrale Gültigkeit und Ver-
bindlichkeit seines Werks. In den Vordergrund
konnte seine Individualität treten, sogar seine
Subjektivität, im besten Fall sein Genie. In die-
sen Qualitäten sind jetzt die Vermittlungsinstan-
zen zwischen überirdischer Inspirationsquelle
und Diesseits zu suchen, und derart vermittelt
ist eine authentische und verbindliche Form von
Repräsentation gar nicht zu erwarten. Das Bild
wurde zum „bloßen“ Bild, und als ein solches
braucht es weder transzendente noch institutio-
nelle Garantien seiner Echtheit. Übrigens sollte
sich die Kategorie der Echtheit nach und nach
auf die Differenz zwischen dem eigenhändigen
Werk des (genialen) Künstlers und seiner unau-
torisierten Nachbildung, Kopie oder Reproduk-
tion übertragen.12 Ursprünglich war Echtheit im Sinne einer nachvollziehbaren Beziehung
zwischen Bild und Abgebildetem verbindlicher
Parameter eines Großteils der mittelalterlichen
Bilder und jedenfalls aller, die im religiösen
Kontext, d.h. im sakralen Milieu, fungierten. In
der modernen Kultur sind es photographisch-
mechanische Produkte (Paßphotos, Röntgenauf-
nahmen usw.), die wir als „wahre“ Bilder anse-
hen.13 Dagegen nahmen die Hussiten, genau wie
ihre Zeitgenossen, jenes Bild ernst, das Anspruch
darauf erhob, heilige Gegenstände und Gestal-
ten wiederzugeben – so wie wir den genannten
mechanischen Abbildungen vertrauen.
Dies war in Erinnerung zu bringen, ehe wir
nun feststellen wollen, wie die Menschen des 14.
und 15. Jahrhunderts Bilder klassifizierten und
welche Bilder es waren, die eine Rolle im sakra-
len Zusammenhang spielten. Der konventionelle
Sprachgebrauch, der „religiöse Bilder“ sagt und
damit faktisch die gesamte Kunstproduktion
des Mittelalters meint, ist in ungeeigneter Weise
pauschalisierend. Bilder, die für eine eindeutig
säkulare Verwendung gedacht waren, müssen in
vielfach höherer Zahl entstanden sein, als es ihr
heutiger Anteil unter den erhaltenen Kunstwer-
ken erkennen läßt. Wenn wir uns der üblichen
Schätzung anschließen, wonach insgesamt gera-
de etwa 4% der ursprünglich vorhandenen Bilder
erhalten sind (das Wort Bild entspricht hier dem
mittelalterlichen imago bzw. figura, ohne Rück-
sicht auf die Technik; es werden einzelne Bilder
im Sinne von Inventarnummern im Museum
gerechnet, nicht Gesamtwerke, wie z.B. Altar-
retabel, die aus mehreren Einheiten bestehen),
findet sich darunter nur ein sehr kleiner Teil ein-
deutig säkularer Werke. Sicher trifft es zu, daß im
Mittelalter Luxusobjekte in Form von Kunstwer-
ken regulär Gott oder einem Heiligen gestiftet
12 H. Belting, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005; W. Ullrich, Raffinierte Kunst. Übung
vor Reproduktionen, Berlin 2009.
13 B. Latour, What is Iconoclash? Or is There a World Beyond the Image Wars? in: Ders./P. Weibel (Hrsg.), Icono-
clash. Beyond the image. Wars in Science, Religion, and Art, Ausstellungskatalog, Karlsruhe, ZKM, Center for Art
and Media, 04.05.2002–04.08.2002, Karlsruhe 2002, S. 14–37.
Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
Band LIX
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte
- Band
- LIX
- Herausgeber
- Bundesdenkmalamt Wien
- Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch, englisch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78674-0
- Abmessungen
- 19.0 x 26.2 cm
- Seiten
- 280
- Schlagwörter
- research, baroque art, methodology, modern art, medieval art, historiography, Baraock, Methodolgiem, Kunst, Wien
- Kategorie
- Kunst und Kultur